Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Philosophie 245<br />
Anders als mancher philosophische Zeitgenosse bekennt sich Topitsch offen<br />
zu seiner "neopositivistischen GrundeinsteIlung" (21). Positivistischer<br />
Ausgangspunkt wie auch Hauptziel seiner Arbeiten, "Weltanschauungsanalyse"<br />
und ,,Ideologiekritik" zu sein, sind bis heute gleich geblieben (2I). Unter Aufnahme<br />
des Weberschen Dogmas von der Werturteilsfreiheit versucht Topitsch<br />
stets, die absolute Unverträglichkeit des "modernen wissenschaftlichen Denkens"<br />
mit jeglicher "Weltanschauung" oder ,,Ideologie" nachzuweisen (21 f).<br />
Charakteristisch bei Topitsch ist, daß er an einem breiten religions- und philosophiegeschichtlichen<br />
Überlieferungsmaterial zugleich mit dem "Ende der Metaphysik"<br />
auch deren "Ursprung" untersuchen will, um zu einer "<strong>Theorie</strong> der vorwissenschaftlichen<br />
Interpretation des Universums, des eigenen Selbst und des<br />
Erkennens" zu kommen (22). Die Studie zeigt, daß sich im Rahmen dieser<br />
durchgängigen Problemstellung bei Topitsch seit Ende der 60er Jahre eine spürbare<br />
Akzentverschiebung eingestellt hat, die mit der Veränderung der gesellschaftlichen<br />
Situation zusammenhängt. Die frühen Schriften Topitschs kreisten<br />
primär um das Thema Mythen-, Religions- und Kirchenkritik. In der restaurativklerikalen<br />
geistigen Landschaft der 50er Jahre in der BRD kam ihnen eine partiell<br />
aufklärerische Funktion zu. Seit Ende der 60er Jahre aber wendet sich Topitsch<br />
vorrangig gegen den "neuen Zeitgeist", in dem sich die Verbreitung antikapitalistischen<br />
Bewußtseins reflektierte (22). Diese Wendung läßt den Antimarxismus<br />
nunmehr in den Vordergrund treten. Der religionsgeschichtliche Aufwand<br />
dient primär dazu, den Marxismus als vorwissenschaftliche, archaische,<br />
doch aktuellste und gefährlichste Form von Mythos oder Ideologie zu diskredi<br />
.tieren (22). Die Akzentverlagerung vom Antiklerikalismus zum Antimarxismus<br />
setzte keine Veränderung der theoretischen Grundlagen voraus, doch seine politische<br />
Position hat sich vom bürgerlichen Liberalismus zum "aufgeklärten Konservatismus"<br />
verschoben (23). Diese neokonservative Abart läßt sich durch die<br />
,jeweilige revolutionäre Herausforderung zumindest wesentlich mitbestimmen"<br />
und erhebt den Anspruch eines Anwalts "wohlerwogener und wohldosierter Reformen<br />
auf politischem und sozialem Gebiet" (23 f), ist mithin offen für einen<br />
konservativen Reformismus.<br />
Horst -Dieter Strüning (Bonn)<br />
Topitsch, Ernst: Die Vor aus set z u n gen der T r ans zen den tal -<br />
phi los 0 phi e. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1975 (164 S., br.,<br />
22,- DM)<br />
Kant wird wieder aktuelL um ihn gegen Hegel auszuspielen, d. h. Hegel zu<br />
schlagen und Marx zu meinen. Dieser Tendenz gehört Topitsch zu, geht aber<br />
über sie hinaus. Nicht nur soll Kant zugrundegelegt werden, um die darauf folgenden<br />
philosophischen Entwicklungen als Abweichungen zu brandmarken,<br />
sondern die "metaphysisch-theologischen Komponenten" bei Kant sollen selbst<br />
noch ausgemerzt werden. Mit Hilfe seiner "weltanschauungsanalytischen Beleuchtung",<br />
in deren Licht in früheren Schriften bereits Hegel sowie Platon und<br />
Aristoteles gestanden hatten, entdeckt Topitsch bei Kant einen "ungeklärten<br />
Ziel konflikt zwischen Welterklärung, Weltüberwindung und Handlungsnormierung"<br />
(58). Während der Welterklärung in Kants Erkenntnistheorie das "natur<br />
Wissenschaftliche Affektionsmodell" entspreche, wonach ein passives Ich von<br />
den Dingen affiZiert werde, liege der Konzeption der WeItüberwindung ein "qua-<br />
DAS ARGUMENT 102/1977 ©