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Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Wissenschaftlicher <strong>Sozialismus</strong> braucht Demokratie 201<br />

Einschränkung der organisierten Willensbildung innerhalb der Partei selbst "­<br />

Die Osmose von Partei und Staatsapparat mußte ohne wirksame Möglichkeit einer<br />

inneren und äußeren Kontrolle die Gefahr von Verselbständigung der notwendigen<br />

bürokratischen <strong>Institut</strong>ionen heraufbeschwören. In einem Land mit<br />

ausgesprochen bürokratisch-autoritären Traditionen, mit nur geringer Erfahrung<br />

historischer Massenkämpfe um bürgerlich-demokratische Freiheiten konnte sich<br />

eine solche Tendenz verstärken. Der Umstand, daß Stalin dieses System weiter<br />

verfestigte und schließlich zur Liquidierung der eigenen Genossen verkehrte, ist<br />

von geschichtlicher Zufälligkeit, sofern es die Person Stalins betrifft. Historisch<br />

zwangsläufig aber ist, daß ein Kollektiv, das sich selbst der äußeren Kontrolle<br />

entzieht und zugleich die innere Kontrolle gegenüber der Führung aufgibt, eine<br />

solche Wendung nicht verhindern konnte und kann. Nur so konnte der politische<br />

Machtapparat eine Selbständigkeit erlangen, in der sich sein Handeln nicht<br />

mehr von der Notwendigkeit der Überwindung der Diktatur durch die Minderheit<br />

leiten ließ, sondern die Diktatur der Partei bzw. die Diktatur ihrer Führung<br />

weiter zementierte und ausbaute.<br />

Gerade angesichts des Fehlens einer wirksamen "äußeren" !v1assenkontrolle<br />

mußte der innerparteilichen Demokratie und <strong>Diskussion</strong> eine gegenüber normalen<br />

Zeiten noch zugespitzte Bedeutung zukommen. Und damit auch der <strong>Theorie</strong><br />

und Methode des Wissenschaftlichen <strong>Sozialismus</strong> für die bewußte Umgestaltung<br />

der Wirklichkeit. Lenin hatte die Schwächen der Voraussetzungen des <strong>Sozialismus</strong><br />

in Rußland und der Arbeit des Partei- und Staatsapparates noch rückhaltlos<br />

aufgedeckt: Kritik und Kontroverse waren für ihn unabdingbare Voraussetzungen<br />

der Korrektur. Mit der Entfernung der Partei führung von realer Kontrolle<br />

ging auch eine Entfernung der <strong>Theorie</strong> von der Realität einher, die Vorspiegelung<br />

einer erst zu erreichenden Zukunft als bereits gegenwärtiger. "Das Zur­<br />

Schau-Stellen einer im ganzen noch keineswegs erreichten Stufe der allgemeinen<br />

Wohlfahrt, der ständige Vorgriff der Agitation auf die materielle Zukunft sollte<br />

die geschichtliche Lücke überdecken, bis einmal das, was der neuen Produzentengesellschaft<br />

bereits wesentlich war, im Augenschein erweiterter Lebensfürsorge<br />

auf allen Gebieten unmittelbar sinnfällig werden würde."l2<br />

Diese Botschaft war nicht allein Inhalt der Massenpropaganda. Die Verwechselung<br />

von bereits Erreichtem mit dem zu Erreichenden ging in Lehrformeln<br />

ein, in deren scheinbarer Allgemeinheit Richtiges und Falsches, Gegenwärtiges<br />

und Künftiges "aufgehoben" werden konnte. Diese Formeln hatten nicht mehr<br />

nur den Status operativer Orientierungen auf das auch Wissenschaftlich noch zu<br />

Leistende, sondern gerieten zu fixen Lehrmeinungen, aus denen nur noch deduziert<br />

werden konnte, und zu staatlich verbindlicher Philosophie.<br />

D. Lecourt hat in seiner Arbeit über den "Fall Lyssenko" aufzuzeigen versucht,<br />

daß die Unterordnung Wissenschaftlicher Erkenntnis unter eine Hierarchie<br />

fiXierter, von der Erfahrung nicht mehr kontrollierbarer Lehrsätze der Absicherung<br />

dieser Machtstruktur innerhalb des "Kollektivs" und gegenüber den leitenden<br />

Gruppen in Politik und Wirtschaft diente. Die Anwendung dieser Lehrsätze<br />

wurde zum Kriterium "proletarischer Wissenschaft". Und diese Form der Erkenntnis<br />

richtete sich keinesfalls an die Massen, so daß auch ihr kultureller Entwicklungsstand<br />

kaum allein als Erklärung der Vereinfachungen und DogmatisienA"<br />

.\Rr,TJ\rfFNT 107/1Q77<br />

(C)

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