Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Besprechungen<br />
Philosophie<br />
Feyerabend, PauI: W i der den Met h 0 den z w a n g. Skizze einer anarchistischen<br />
Erkenntnistheorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1976 (443 S., br.,<br />
30,- DM).<br />
Die Wissenschaftstheorie, von ihren Anhängern oft zur wissenschaftlichen<br />
Nachfolgerin der Philosophie stilisiert, ist seit den sechziger Jahren durch einen<br />
plötzlichen Kontakt mit ihrem Gegenstand, den Wissenschaften als realen Gebilden,<br />
ins Wanken geraten. Angesichts einer Konfrontation mit wissenschaftshistorischen<br />
Untersuchungen konnte die Annahme einer stetigen Zunahme an<br />
"objektiver Erkenntnis" gemäß einer von sozialen und psychischen Phänomenen<br />
unabhängigen "Logik der Forschung" nicht mehr gehalten werden. Die<br />
Entdeckung "Wissenschaftlicher Revolutionen" nötigte die analytischen Philosophen<br />
zu vielfältigen Versuchen, logische BeZiehungen zwischen <strong>Theorie</strong>n zu explizieren,<br />
die selbst bei radikalen Wechseln von Weltbildern (unter Einschluß<br />
von BedeutungSänderungen grundlegender Ausdrücke) es noch erlauben, wenigstens<br />
nachträglich einen von historischen Fragen unabhängigen, rein wissenschaftlich-argumentativen<br />
Fortschritt zu rekonstruieren. Sie mußten diese Versuche<br />
machen, weil aus ihrer Sicht nicht einerseits die Wissenschaft von externen,<br />
d. h. außerhalb des Wissenschaftlichen <strong>Diskussion</strong>sprozesses angesiedelten<br />
Kräften determiniert werden kann und doch andererseits wissenschaftlicher<br />
Fortschritt und Erkenntnisgewinn möglich sein können.<br />
Paul Feyerabend, Professor in Berkeley, der selbst dem Kreis der "wissenschaftlichen<br />
Philosophen" entstammt, möchte mit seinem Buch den Schlußstrich<br />
unter deren Debatten ziehen. Mit umfangreichen Analysen Wissenschaftlicher<br />
Revolutionen, vor allem immer wieder des klassischen Beispiels der kopernikanischen<br />
Revolution - der Etablierung des heliozentrischen Weltbildes -, beansprucht<br />
er zu zeigen, daß keine der Methodologien angenommen werden<br />
kann, die mit dem Ziel vorgeschlagen worden sind, überhistorische Kriterien für<br />
Wissenschaftlichkeit zu liefern. Die Wissenschaftstheorie sei daher ein "Scheinfach"<br />
(12). Was sich heute als "Wissenschaft" versteht, ist seines Erachtens<br />
nichts Einmaliges, für das man logische Abgrenzungskriterien finden könnte.<br />
Die Wissenschaft sei zu identifizieren mit der ,Jüngsten, aggressivsten und dogmatischsten<br />
religiösen <strong>Institut</strong>ion" (392). Diese Ansicht formuliert er auch in der<br />
These: "Die Wissenschaft steht also dem Mythos viel näher, als eine wissenschaftliche<br />
Philosophie zugeben möchte" (392). Diese These ist jedoch nicht geeignet,<br />
das grundsätzliche Problem zu lösen, das den Versuchen zugrunde lag,<br />
den Gedanken einer gültigen Methodologie über die wissenschaftshistorische<br />
Revolution der Wissenschaftstheorie hinwegzuretten, weil Feyerahcnd seinen<br />
Gegnern in dem wichtigen Punkt folgt, daß das Aufgeben der Annahme einer<br />
intern motivierten Geschichte der Wissenschaft eben eine Beliebigkeit unserer<br />
<strong>Theorie</strong>n erzwinge und uns damit die Haltung eines "theoretischen Anarchisten"<br />
aufnötige: "Anything goes" (35), alles ist möglich. Auch durch Feyer-<br />
DAS ARGUMENT 102/1977 ©