Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Wissenschaftlicher <strong>Sozialismus</strong> braucht Demokratie 195<br />
wissenschaftliche Arbeit. Schließlich kann der Verweis auf den formellen Status<br />
des Lohnarbeiters die Stellung vieler Intellektueller in der bürgerlichen Gesellschaft<br />
noch nicht hinreichend beschreiben. Die Formel vom TUi, "der die Herrschaft<br />
des Herrn ideologisch absichert"" hat nicht an Aktualität verloren. Ihre<br />
Funktion als Administratoren und Propagandisten in den politischen und ideologischen<br />
Staatsapparaten setzt sie auch dann noch der Arbeiterklasse entgegen,<br />
wenn sie sozial längst ein mit ihr vergleichbares Schicksal teilen. Der soziale<br />
Druck mag eher noch die aktive Wahrnehmung dieses Funktionszusammenhanges<br />
befördern. In welche Richtung sich ihr praktisches Verhalten orientiert, ist<br />
damit aber auch bedingt durch die Schwäche oder Stärke der Arbeiterbewegung.<br />
Stärken und Schwächen sind nicht allein quantitativ zu fassen. Sie zeigen sich in<br />
der politischen Konzeption und Praxis der Intellektuellenpolitik: Vermag die Arbeiterbewegung<br />
die sozialen Interessen der Intellektuellen in den gemeinsamen<br />
Kampf zu integrieren') Kann sie den Praktiken der entäußernden Wissensfunktionalisierung<br />
innerhalb des herkömmlichen ideologischen Betriebes eine wirksame<br />
Alternative entgegensetzen, oder wird die Funktion der Legitimationsbeschaffung<br />
nur "mit neuen Inhalten" gefüllt? Wird äußerer Standpunktwechse!<br />
gefordert, oder kann das Wissenspotential der Intelligenz in demokratischer, kollektiver<br />
Auseinandersetzung nutzbar gemacht werden') Kann dem Intellektuellen<br />
nicht die Chance einer Wissenschaftlichen Praxis im Rahmen der Arbeiterbewegung<br />
eröffnet werden, so wird sein Engagement letztlich auch immer ein äußeres<br />
bleiben und damit labil sein. Die andere Seite ist, daß er sich kaum produktiv<br />
an der Front der Klassenauseinandersetzungen betätigen kann, wenn er<br />
der Auseinandersetzung nach innen entwöhnt ist. Das produziert eine Schizophreniesituation.<br />
In sie geraten diejenigen marxistischen Intellektuellen, die hierzulande<br />
an vorderster Front der Auseinandersetzung für freie, an den Interessen<br />
der gesellschaftlichen Mehrheit orientierte wissenschaftliche Betätigung stehen,<br />
aus "internationalistischer Loyalität" aber meinen, jede administrative Maßnahme<br />
sozialistischer Staatsapparate gegen opponierende Wissenschafts- oder<br />
Kunstproduzenten legitimieren zu müssen. Folgenreich für die Bewegung ist<br />
nicht, inwieweit es ihnen dann noch gelingt, diese Widersprüche "in sich selbst<br />
auszutragen": praktisch relevant ist ihre Unglaubwürdigkeit hier und heute. Unglaubwürdig<br />
müssen solche Haltungen deshalb erscheinen, weil sie nur eingenommen<br />
werden können, indem von der Frage nach den politischen Bedingungen<br />
und Hemmnissen wissenschaftlicher Arbeit abstrahiert wird. Diese Frage in<br />
bezug auf die historische Realität in den sozialistischen Ländern zu stellen, würde<br />
sicherlich Ursachen des "Dissidentenproblems" klären helfen. In der Erkenntnis<br />
und im offenen Aussprechen ihrer historischen Bedingtheit und künftigen<br />
Vermeidbarkeit würde der "aufrechte Gang" der sozialistischen Intelligenz<br />
in den hiesigen Klassenauseinandersetzungen leichter fallen.<br />
Reale Gemeinschaftlichkeit oder bloß formale<br />
Unterordnung des einzelnen unter das Kollektiv?<br />
Wenn das Individuum nur :n seiner Privatheit gefaßt wird, muß es letztlich<br />
immer im Gegensatz zur kollektiven Organisation verstanden werden. Der Widerspruch<br />
von Individuum und Kollektiv kann dann in der Tat nur in die eine<br />
oder andere Richtung gelöst werden: durch Zerstörung der Kollektivität oder<br />
durch umstandslose Unterordnung des einzelnen. Als Konsequenz einer solchen<br />
DAS ARGlJMFNT 102/1977 ©