Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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196 Christoph Kievenheim<br />
Konstruktion wird von der Notwendigkeit der Dominanz des Kollektivs "gegenüber<br />
den zufälligen Neigungen und Meinungen der Individuen" (Tomberg,<br />
S. 643) gesprochen, ohne nach den inneren Voraussetzungen dieser Kollektivität<br />
in der Interaktion ihrer einzelnen Glieder zu fragen. Der Gegensatz von Privatheit<br />
und sozialistischer Organisation scheint sich unter der Hand zum Gegensatz<br />
zwischen "dem Kollektiv" und seinen einzelnen Gliedern entwickelt zu haben.<br />
Es hat damit freilich auch aufgehört, als Kollektiv zu bestehen, kann im ständigen<br />
Kampf gegen seine Teile als Repräsentanten "zufalliger Meinungen und Neigungen"<br />
überhaupt nur als formale Organisation der Über- und Unterordnung<br />
existieren, Kollektivität "höchstens" noch in seinen leitenden Organen realisieren.<br />
Wie leicht diese Dominanz eines metaphysisch gewordenen Kollektivs in<br />
ihr Gegenteil umschlagen kann, führt Tomberg selber vor, wenn er vom Personenkult<br />
als einer historisch überspitzten Form der Dominanz des Kollektivs<br />
spricht (5. 643). Tatsächlich kann von einer verbindlichen Durchsetzung des Gemeinschaftswillens<br />
in einer demokratischen Organisation erst dann die Rede<br />
sein, wenn dieser Wille selbst demokratisch hergestellt ist. Wenn die Glieder der<br />
Organisation nicht aufgehört haben, auch außerhalb dieser praktisch tätig zu<br />
werden, gehen in den Prozeß der gemeinsamen Erkenntnis- und Willensbildung<br />
notwendigerweise individuelle Erfahrungen, zunächst persönlich verarbeitete Erkenntnisse<br />
und "Meinungen" ein. NOMendigerweise, weil die individuellen Erfahrungen<br />
eine unverzichtbare "empirische" Basis des Erkenntnisprozesses bilden.<br />
Inwieweit diese Erfahrungen und Meinungen verallgemeierungsfähig sind,<br />
erweist sich in der kollektiven <strong>Diskussion</strong>. Sie leistet die Objektivierung.<br />
Auch die Wissenschaftliche <strong>Theorie</strong> der Arbeiterbewegung kann nur praktische<br />
Wirksamkeit erhalten, wenn sie Veränderungen der gesellschaftlichen Realität<br />
verarbeitet, überkommenes Wissen hinterfragt und erweitert. Wie die einseitige<br />
Dominanz einer auf die zur Zentrale reduzierten Kollektivität deren praktische<br />
Wirksamkeit beschneidet, muß auch ein gegenüber neuem Erfahrungswissen<br />
hermetisch abgedichteter "Lehrsatzstatus" bisher akkumulierten Wissens<br />
der Lebensfähigkeit und Weiterentwicklung der <strong>Theorie</strong> abträglich sein. Dies um<br />
so mehr, wenn die Genesis dieser Lehrsätze nicht mehr nachvollziehbar ist, sie<br />
nur noch "an sich" anerkannt, aber nicht mehr in ihren Entstehungsvorausset~<br />
zungen begriffen werden können. Friedrich Tomberg bestreitet nicht, daß die<br />
"wissenschaftliche Weltanschauung" solche Formen angenommen hat. Aber anstatt<br />
sich mit ihnen auseinanderzusetzen, hat er die Flucht vor der "realen Weltanschauung"<br />
angetreten und auf einen überrealen Entwicklungsstand der <strong>Theorie</strong><br />
verwiesen, eine <strong>Theorie</strong>, die sich "unabhängig von der Art und Weise, in der<br />
sie in irgendwe1chen Lehrbüchern und Traktaten dargestellt wird, ja auch unabhängig<br />
davon, in welchem Ausmaß sie selbst von ihren befugtesren Vertretern<br />
begriffen wird" (5.638), zu behaupten scheint. So ist sie freilich weder nachvollziehbar<br />
noch nützlich. Solange das Denken der Bewegung selbst nur "in ihren<br />
mangelhaften Produkten ... auch bloß negativ, ... als mehr oder weniger deutlich<br />
empfundenes Desiderat" (5. 638) vorliegt, wird es eben in diesem Zustand<br />
und nicht in seiner potentiellen Existenz seine Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit<br />
entfalten. Eine solche potentielle Qualität wird im übrigen auch niemanden hindern<br />
können, sich ganz unabhängig von ihr seine "private Weltanschauung"