Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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288 Besprechungen<br />
punkt für eine Analyse antigewerkschaftlicher Unternehmerideologien, die<br />
exemplarische Einblicke in die mangelnde Bereitschaft der Industrieverbände<br />
vermittelt, ihre "politisch-ökonomischen Minderheits-Interessen" (28) in den<br />
Kontext der Reichsverfassung vom August 1919 einzufügen und deren Sozialstaatspostulate<br />
zu akzeptieren. Auf diese Weise beschreiten Schneiders Studien<br />
zwar nicht in jedem Fall Neuland, können aber durch die <strong>kritische</strong> Musterung<br />
sozialer Konflikte das unternehmerische Demokratieverständnis näher beleuchten<br />
und beachtenswerte Hinweise zum Anteil der Industrie am Prozeß der "Entdemokratisierung"<br />
(12) des Weimarer Staates liefern. - Das überwiegend chronologisch<br />
aufgebaute Buch läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß von einer<br />
Position der "Neutralität" gegenüber der Republik oder gar von Anzeichen zu<br />
ihrer aktiven Tolerierung keine Rede sein kann. Die kurzfristige Zusammenarbeit<br />
mit den Gewerkschaften in der Zentralen Arbeitsgemeinschaft während der<br />
Phase des Übergangs von der Kriegs- in die Friedenswirtschaft gewährte den<br />
Unternehmern eine Art Rückversicherung gegen revolutionäre wie bürokratische<br />
Eingriffe und bescherte ihnen die konsequent genutzte Atempause, um Marktmacht<br />
und politische Einflußkanäle zu reorganisieren. Diese Taktik vermochte<br />
zwar das von Arbeitgeberseite auch noch in seiner entschärften Form vehement<br />
bekämpfte Betriebsrätegesetz nicht zu verhindern, bewährte sich für jene aber im<br />
Abblocken "staatssozialistischer" Tendenzen, in der Lohn- und Preispolitik und<br />
der schrittweisen Aushöhlung des im November 1918 zur Norm erhobenen 8-<br />
Stunden-Tags.<br />
Nach dieser Periode der Reorganisation erfuhr die Republik unter der Voraussetzung<br />
einer "unternehmerfreundlichen Politik" (55) eine bedingte Duldung.<br />
Hinter dem Schirm der einseitig an Kapital- und Besitzinteressen orientierten<br />
Wirtschafts- und Finanzpolitik der bürgerlichen Mitte-Rechts-Kabinette belebte<br />
vor allem die Schwerindustrie die traditionellen Bindungen zur Landwirtschaft<br />
und reaktivierte die Ideologien der "gelben" Arbeitervereine. Der Wahlsieg der<br />
Sozialdemokratie im Mai 1928 machte den Unternehmern "die potentielle Instabilität<br />
ihres Interesseneinflusses" (75) deutlich und nährte Zweifel an den Möglichkeiten,<br />
eine dauerhaft konservative Wendung der Republik auf parlamentarischem<br />
Wege zu erreichen. In der Folge schwenkten sie daher zur "offenen Konfrontation"<br />
(76 ff.) um, was der Verfasser u. a. an der Analyse des Ruhreisenstreits<br />
von 1928 und der unternehmerischen Agitation gegen "Wirtschaftsdemokratie"<br />
und ADGB-Pläne zur Arbeitsbeschaffung demonstriert. Mit dem Einbrechen<br />
der großen Depression stand für die Arbeitgeber das ohnehin nur lükkenhaft<br />
verwirklichte System sozialer Sicherungen endgültig zur Disposition. Zu<br />
den gängigen Beschwerden über zu hohe Sozialabgaben gesellte sich nun der mit<br />
offensiven Mitteln (Aussperrung) gefÜhrte Kampf gegen das Instrument der<br />
staatlichen Zwangsschlichtung und gegen die gewerkschaftliche Lohnpolitik insgesamt,<br />
von der behauptet wurde, sie erstrebe nichts anderes als die Sozialisierung<br />
"auf Umwegen" (77). Dem Konzept des ADGB, durch Stärkung der Massenkaufkraft<br />
die Wirtschaftskrise zu überwinden, setzten die Industrieverbände<br />
ihre Forderungen nach Lohnkürzungen und Abbau der Sozialleistungen entgegen<br />
- Forderungen, die die Präsidialkabinette, vor allem die Regierung Papen,<br />
zur lohn- und sozialpolitischen Maxime erhoben. Zunehmend wurden der Kernbestand<br />
des kollektiven Arbeitsrechts und die Anerkennung der Gewerkschaften<br />
als Tarifpartner in Frage gestellt: mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung<br />
und dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit 1933/34 hatten die Unternehmer<br />
ihr Ziel erreicht, die Wirtschaft von "politischen Hemmnissen" (44) zu<br />
DAS ARGUMENT 102/1977 ©