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Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Günter Matthias Tripp<br />

Individuelle Freiheit und "sozialistische Bewegung"<br />

Die im Argument begonnene <strong>Diskussion</strong> um die Perspektiven der Sozialisten<br />

in der BRD scheint sich auf den ersten Blick als offene Kontroverse zwischen<br />

"Traditionalisten" und ,,freien Sozialisten" abzuspielen, wobei die letzteren in<br />

der bisherigen Debatte als "sozialistische Bewegung" anzutreffen 1 sind. Beide<br />

Gruppierungen sind Ende der sechziger Jahre entstanden oder haben zu diesem<br />

Zeitpunkt ihre Renaissance erlebt. Außer Geburtsstunde und Lebenserwartung<br />

scheint ihnen jedoch wenig gemeinsam, sieht man von den äußerst wirksamen<br />

gesellschaftlichen Gegenkräften ab, die sie auf den ersten Blick unterschiedslos<br />

behindern, sei es in ihrer jeweiligen Außenwirkung, sei es in ihrem wechselseitigen<br />

öffentlichen Kommunikationsprozeß. Radikalenerlaß und Berufsverbote haben<br />

sie mit einem "cordon sanitaire" umgeben. Aber in dieser Situation läßt sich<br />

dennoch ein feiner Unterschied bezeichnen. Zwar trifft der Radikalenerlaß auch<br />

die "sozialistische Bewegung", in erster Linie jedoch diejenigen, die sich definitiv<br />

organisiert und folglich ein besonderes Maß an persönlicher Konsequenz auf<br />

sich genommen haben. Wo wäre die von Helmut Gollwitzer 2 den Kommunisten<br />

attestierte Entschiedenheit anders zu fassen als an den Normen ihrer Ürganisiertheit?<br />

Gerade hierin unterscheiden sie sich weitgehend von den Mitgliedern der<br />

"sozialistischen Bewegung", die durch einen Individualismus geprägt erscheinen,<br />

der, wie Friedrich Tomberg analysiert, in den letzten Jahrhunderten der europäischen<br />

Geschichte immer mehr bis ins Extrem ausgebildet wurde und nicht<br />

nur in der Existenz des Kleinbürgertums gründet, sondern seine Wurzeln bis auf<br />

den Boden des gesamten Volkes getrieben hat 3 • Die von W. F. Haug und<br />

H. Gollwitzer umrissene "sozialistische Bewegung" könnte so als wohlbegründete<br />

politische Konsequenz erscheinen, wenn die Auffassung von F. Tomberg richtig ist,<br />

daß ein <strong>Sozialismus</strong>, der diesem Individualismus nicht gerecht wird, in unseren Breiten<br />

kaum Fuß fassen dürfte. Unter diesen Prämissen begreift W. F. Haug von seiner<br />

eigenen Position aus denn auch völlig schlÜSSig den Primat einer Arbeiterpartei als<br />

"völlig irreale Fiktion"'. An ihre Stelle tritt ein neuartiges historisches Subjekt. "Dies<br />

neuartige Subjekt kann nur die sozialistische Bewegung mit dem Kern der sozialistischen<br />

Arbeiterbewegung sein. Der Prozeß ihrer Herausbildung und derschließlichen<br />

Verwirklichung ihres Ziels ist der lange und widersprüchliche Prozeß der Verwandlung<br />

von Privatleuten in Genossen"s<br />

Charakterisiert W. F. Haug die "sozialistische Bewegung" grundsätzlich als<br />

neuartiges historisches Subjekt, so beschreibt H. Gollwitzer den politischen Status,<br />

den der einzelne darin einnimmt: "Genosse ist, wer die drei oben genannten<br />

Essentials des <strong>Sozialismus</strong>-Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Verständnis<br />

der Geschichte als von Klassenkämpfen bestimmt, Überwindung der Klassengesellschaft<br />

durch die klassenlose Gesellschaft - theoretisch bejaht und praktisch<br />

bestätigt. Die Fragen der Strategie und der Taktik werden noch genug An-<br />

DAS ARGUMENT 102/l977 ©

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