Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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230 Rajael de la Vega<br />
nach kapitalistisch-monopolistischem Muster und eröffneten den Prozeß der beschleunigten<br />
Industrialisierung und der Angleichung Spaniens an das kapitalistische<br />
Wirtschafts- und Marktsystem. Die Vereinigten Staaten übernahmen dabei<br />
die politische und diplomatische Schutzrolle, amerikanisches, kanadisches, westdeutsches<br />
und französisches Kapital flossen ins Land und setzten die Grundlagen<br />
eines mächtigen Aufschwungs, der aus Spanien die fünftgrößte Industrienation<br />
Westeuropas und das Grundmodell eines abhängigen Kapitalismus innerhalb<br />
der industrialisierten kapitalistischen Welt machen sollte. Zu den interessantesten<br />
Aspekten der spanischen Entwicklung gehört, daß die Industrialisierung<br />
des Landes und die Anfänge der wissenschaftlich-technischen Revolution<br />
nicht unter den politischen Bedingungen des bürgerlichen Liberalismus, sondern<br />
unter der Herrschaft eines nationalistischen, bornierten und opportunistischen<br />
Faschismus vollzogen wurden. Auch in diesem Fall bildet Spanien ein Unikum<br />
und kann als erstes Modell einer heute überall in der Welt angewandten Taktik<br />
des imperialistischen Monopolkapitalismus gelten 3 • Um so erfreulicher ist es,<br />
daß der Zusammenbruch des Faschismus als verfaulende Schale der kapitalistischen<br />
Bourgeoisie Reserven freigelegt hat, die mit zu dem größten demokratischen<br />
Potential in Westeuropa zu rechnen sind. Es ist diese spezifische Lage, die<br />
eine überstürzte, schablonenhafte Beurteilung der Bedingungen des politischen<br />
Kampfes in Spanien verbietet.<br />
Lenin wußte schon, daß die Arbeiterklasse sich "spontan zum <strong>Sozialismus</strong><br />
hingezogen" fühlt, aber auch, daß "die am weitesten verbreitete (und in den<br />
mannigfaltigsten Formen ständig wiederauferstehende) bürgerliche Ideologie"<br />
sich trotzdem spontan dem Arbeiter am meisten aufdrängt 4 • Es ist nun so, daß<br />
in Spanien die bürgerliche Ideologie nicht die "am weitesten verbreitete", sondern<br />
die einzig und allein verbreitete war: eine Staats- und Regierungsideologie<br />
totalitären Charakters, noch dazu von der fast uneingeschränkten Macht der Katholischen<br />
Kirche eifrig unterstützt, und das vierzig Jahre lang! Die Abschirmung<br />
des Landes gegenüber fremden Einflüssen, der MIßbrauch von historischnationalen,<br />
volkstümlichen und religiösen Ideen, aber auch von Vorurteilen und<br />
Ressentiments fiel auf den Boden einer vom Bürgerkrieg zerschlagenen und gelähmten<br />
Gesellschaft, die jahrzehntelang nur an das nackte Überleben denken<br />
konnte5 und unter den Fesseln einer reaktionär-primitiven Zensur geistig dahinsiechte.<br />
So war es dem Kapitalismus möglich, eine beschleunigte Ausbeutung<br />
unter dem Deckmantel des ebenfalls beschleunigten Konsums von materiellen<br />
Gütern halbwegs zu verdecken. Für das spanische Proletariat (das unter ungeheuren<br />
Anstrengungen, Entbehrungen und Ausbeutung jetzt die ersten Krümel<br />
auf dem Tisch des Kapitalismus erwischen konnte), aber auch für die anderen<br />
Klassen und Schichten des Volkes eröffnete die Stabilisierung der neuen ökonomischen<br />
Verhältnisse eine Periode des relativen, wenn auch unsicheren Wohlstandes,<br />
die bei einer Anzahl von Arbeitern und Angehörigen der MitteIschichten<br />
das verständliche Gefühl des Stolzes und den Willen, das Erreichte auf jeden<br />
Fall zu behalten und zu verteidigen, erweckte. Insofern kann man auch für<br />
Spanien -mit den notwendigen Korrekturen- die Leninschen Analysen über die<br />
"Arbeiteraristokratie" und die "trade-unionistische" Mentalität gelten lassen. Es<br />
ist nicht leicht, einem spanischen Arbeiter -einem Facharbeiter der Automobil-