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Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Soziale Bewegung und Politik 293<br />

und Kelsens Studie über "<strong>Sozialismus</strong> und Staat", in der dieser den marxistischen<br />

Begriff der proletarischen Diktatur und die russische Praxis als Einheit bezeichnete.<br />

Demgegenüber meinte Adler, daß Lenin in "Staat und Revolution"<br />

das Verhältnis von politischer und sozialer Revolution richtig skizziert, mit der<br />

Errichtung der bolschewistischen Parteidiktatur aber falsch gehandelt habe. Diese<br />

Auffassung vertrat Adler auch auf dem Linzer Parteitag der SAPD von 1926,<br />

wo er vorschlug, die Forderung nach der Errichtung der Diktatur des Proletariats<br />

in das Parteiprogramm aufzunehmen. Damit konnte sich Max Adler nicht gegen<br />

Otto Bauer und die Parteitagsmehrheit durchsetzen, die den Diktatur-Begriff<br />

durch die sowjetrussische Praxis wie durch die allgemeine Nähe zum Begriff<br />

"Terrorismus" diskreditiert sahen und die "Diktatur" nur defenSiV zur Abwehr<br />

eines konterrevolutionären Putsches gelten lassen wollten. Nach 1933 wandelte<br />

sich Adlers Einstellung besonders unter dem Eindruck des Faschismus. Nunmehr<br />

würdigte er die sowjetische Praxis der Diktatur als "Erziehungsdiktatur"<br />

sehr positiv. Dem Referat von Adlers Meinungen zur proletarischen Diktatur<br />

folgt ein knapper Bericht über die Parteitage der SAPD bis 1926 und schließlich<br />

ein Resümee, in dem Katsoulis Ähnlichkeiten zwischen dem Austromarxismus<br />

und den Moskauer Entschließungen der kommunistischen Weltbewegung zu<br />

zeigen sucht, vor allem in der defenSiven Bedeutung der revolutionären Gewalt<br />

und in der Hochschätzung des parlamentarischen Weges zum <strong>Sozialismus</strong>. Ferner<br />

zieht der Verfasser Parallelen zur Politik der französischen KP, der jugoslawischen<br />

Kommunisten sowie zum "Prager Frühling" und spricht seine Hoffnung<br />

aus, daß bei einer "Konvergenz" von Ost und West, von Sozialdemokraten<br />

und Kommunisten, in Zukunft der Austromarxismus wesentliche Anstöße für<br />

die weitere Entwicklung geben möge. Es ist allerdings zu fragen, ob diese<br />

Schlußfolgerungen durch die Studie selbst belegt bzw. organisch entwickelt sind.<br />

Die Darlegung der Ideen Max Adlers ist übersichtlich; es gelingt aber nicht, den<br />

Bereich der reinen Ideengeschichte wie beansprucht zu verlassen und Adler wie<br />

den Austromarxismus insgesamt aus den ökonomischen und politischen Zusammenhängen<br />

heraus zu erklären. Erst eine solche gelungene Erklärung könnte<br />

dann die weitreichenden Parallelilisierungen und Prognosen erhärten. Stärend<br />

wirken zudem die zahlreichen Druck- und Flüchtigkeitsfehler, mehr noch aber<br />

inhaltliche Nachlässigkeiten: So berichtet Katsoulis, Adler habe von Schmitt-Dorolic<br />

(d. i. earl Schmitt) "die terminologische Unterscheidung zwischen Demokratie<br />

und Diktatur" (268) übernommen, erwähnt aber nicht, daß Adler nicht<br />

nur die Terminologie Schmitts übernahm, sondern auch dessen Gedanken von<br />

der Legitimität der Diktatur als "äußerst lichtvolle Erörterung" (Adler, Die<br />

Staatsauffassung des Marxismus, Wien 1922, S. 195) nachvollzog. In anderen<br />

Zusammenhängen urteilt Katsoulis allzu unbekümmert, wenn er etwa behauptet,<br />

die Studentenrevolte 1967/68 habe die BRD in eine "tiefe Legitimationskrise"<br />

(Vorwort) gestürzt oder das Rußland von 1917 als "zurückgebliebensten<br />

Staat Europas" (91) ansieht.<br />

Volker Gransow (Bielefeld)<br />

WoIter, VIf: Grundlagen des Stalinismus. Die Entwicklung des<br />

Marxismus von einer Wissenschaft zur Ideologie. Rotbuch Verlag, Berlinl<br />

West 1975 (141 S., br., 8,- DM).<br />

Eine adäquate, sich auf dem Niveau des Wissenschaftlichen <strong>Sozialismus</strong> bewegende<br />

Auseinandersetzung mit Phänomen und Begriff des Stalinismus ist innerhalb<br />

der westdeutschen Linken immer noch Desiderat. Begnügen die einen<br />

DAS ARGUMENT 102/1977 ""

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