Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Zur Politik der spanischen KP 233<br />
So stellt uns z. B. die Frage nach der formal-demokratischen Machtübernahme<br />
vor Probleme, die nicht mehr rein taktischer Natur sind: Ablehnung der konspirativen<br />
oder terroristischen Methoden, Funktionswechsel (und Inhaltswechsel)<br />
des Begriffs "Diktatur des Proletariats", neue, veränderte Struktur der Bündnispolitik.<br />
In all diesen Fragen werden wesentliche Punkte des Leninismus berührt,<br />
viele von ihnen dabei gründlich modifiziert '0. Wir sollten u. E. ein für allemal<br />
mit dem Unfug aufräumen, den Leninismus als geheiligten Bestand von Lehren<br />
zu preisen, an die nicht zu rühren sei, um ihn dann auf der konkreten Arena der<br />
tagtäglichen Politik nach den jeweiligen Bedürfnissen zu modifizieren. Das Zweite<br />
wäre echter Leninismus, nicht aber das erste. Allerdings besteht die Gefahr,<br />
daß die unabdingbare Zusammenarbeit mit den "historisch wirksamen Kräften<br />
al/er Klassen, unbedingt ausnahmslos aller Klassen der gegebenen Gesellschaft""<br />
den Kommunisten nicht nur taktische Positionen aufZWingt, sondern<br />
darüber hinaus ihre ideologische Haltung beeinflußt. So sind u. E. die Beteuerungen<br />
Enrico Berlinguers und Santiago Carrillos zu verstehen, die Kommunistischen<br />
Parteien beider Länder verteidigten nicht die "pluralistische Demokratie"<br />
und das bürgerlich-parlamentarische Spiel der Machtausübung, den Parteienpluralismus<br />
usw. als taktische Finte, sondern aus programmatischer Überzeugung.<br />
Inwiefern haben wir es hier schon mit einem Verlassen unverzichtbarer Grundpositionen,<br />
mit einem "Revisionismus" zu tun, der sich nicht so sehr gegen die<br />
Marxsche Lehre richtet wie gegen ihre leninistische Weiterentwicklung? Sind<br />
etwa die Positionen 77 des sogenannten "Eurokommunismus" eine dialektisch<br />
unvermeidliche (wenn auch vielleicht nicht minder gefährliche und zu bekämpfende)<br />
Folge der Stabilisierung des Monopolkapitalismus und der Verbreitung<br />
sozialdemokratischer Ideologie unter den Lohnabhängigen der "Konsumgesellschaft"?<br />
Oder sind diese Positionen vielmehr eine Verwirklichung der leninistischen<br />
Aufforderung, "unbedingt dort (zu) arbeiten, wo die Massen sind" 12. Dann<br />
aber müßte man sofort an die vielen Aufforderungen Lenins erinnern, die Massen<br />
zu erziehen, sie von ihren kleinbürgerlichen Vorurteilen zu befreien, den<br />
Kampf gegen die "Arbeiteraristokratie" im Namen der Arbeiterrnassen zu führen,<br />
beharrlich gegen Opportunismus und kleinbürgerlichen Nationalismus zu<br />
kämpfen, die ,jetzt noch schlummernden proletarischen Massen in Bewegung"<br />
zu bringen 13. In diesem Sinne könnte das von den drei großen westeuropäischen<br />
Parteien proklamierte und bei jeder nur denkbaren Gelegenheit wiederholte Bekenntnis<br />
zur bürgerlich-liberalen Demokratie als ein Rückfall in die von Lenin<br />
1920 scharf kritisierte These des ZK der KPD (Spartakusbund)1Ja verstanden<br />
werden, in der es hieß: "Für die weitere Eroberung der proletarischen Massen<br />
für den Kommunismus ist ein Zustand, wo die politische Freiheit unbegrenzt<br />
ausgenutzt werden, wo die bürgerliche Demokratie nicht als Diktatur des Kapitals<br />
auftreten könnte, von der größten Wichtigkeit für die Entwicklung in der<br />
Richtung zur proletarischen Diktatur. .. ". Ein solcher Zustand, sagt Lenin, ist<br />
unmöglich, man sollte überhaupt solche Dinge nicht schreiben 14. Die Frage also<br />
steht: entweder ist heute die politische und gesellschaftliche Konstellation tatsächlich<br />
von der damaligen so verschieden, daß Lenin selbst seine frühere Kritik<br />
nicht mehr gelten lassen würde, oder aber die gemeinsame Linie von KPI, KPF<br />
und KPS bedeutet in einigen Punkten eine Abkehr von leninistischen Prinzipien.<br />
DAS ARGTTMFNT 107/1Q77<br />
(E)