Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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262 Besprechungen<br />
Rilling stellt zunächst das Entwicklungsverhältnis von stofflichen Charakteristika<br />
und ökonomischen Formbestimmungen des materiellen Produktionsprozesses<br />
und seiner Elemente bis hin zu Arbeitsteilung und Kooperation dar, wobei<br />
er vor allem die relative Dominanz der ökonomischen Formbestimmungen<br />
herausarbeitet. Darauf aufbauend, entwickelt er die wichtigsten stofflichen Bestimmungen<br />
des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses und sodann seine soziale<br />
Form. Er unterscheidet zwischen dem sozial-historischen Charakter wissenschaftlicher<br />
Arbeit, der auch dem individuellen Forschungsvollzug zukommt,<br />
und ihren jeweiligen Realisierungsformen. Die sozialökonomische Formbestimmtheit<br />
wissenschaftlicher Arbeit erschließt sich, betrachtet man sie unter<br />
dem Aspekt sozialer Produktions- und Aneignungsverhältnisse. So kann Rilling<br />
den Gegenstand materialistischer Wissenschaftssoziologie ausmachen: "Das System<br />
sozialer Verhältnisse in einem gesellschaftlichen Teilbereich und die damit<br />
verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungs- und Realisierungsformen der wissenschaftlichen<br />
Tätigkeit" (69).<br />
Diese Bestimmung bewährt sich in der Kritik an einflußreichen bürgerlichen<br />
Wissenschaftskonzeptionen und in ihrer materialistischen Erklärung. Rilling diskutiert<br />
das klassische evolutionär-kumulative Modell der Wissenschaftsentwicklung<br />
und sehr gründlich den "revolutionären" Ansatz T. Kuhns. Weitere Analysen<br />
gelten systemtheoretischen und strukturell-funktionalen Ansätzen sowie<br />
schließlich "direkteren" Versuchen, die Integration der Wissenschaft in den gesamten<br />
kapitalistischen Reproduktionsprozeß theoretisch zu bewältigen. Wird<br />
hier wie auch in der daran anschließenden, sehr gelungenen Skizze zur Periodisierung<br />
der kapitalistischen Vergesellschaftung der wissenschaftlichen Arbeit der<br />
analytische Wert des "Doppelcharakter-Ansatzes" offenbar, so deutet doch Rillings<br />
Vorschlag, die Differenzierungs- und Integrationstendenzen der Wissenschaftsdisziplinen<br />
sowie die Kumulation wissenschaftlichen Wissens als stoffliche<br />
Bestimmungen des Wissenschaftsprozesses zu interpretieren, auf die Notwendigkeit<br />
hin, die Einheit von stofflichen und Formbestimmungen näher auszuarbeiten.<br />
Beispielsweise bedürfte Ril!ings These, das wissenschaftliche Wachstum<br />
sei ein relativ formationsneutraler Prozeß (206), sicherlich weiterer Erörterung.<br />
In seiner umfassenden Untersuchung der Entwicklung des marxistischen Wisserischaftsbegriffs<br />
in der DDR leistet Rilling Pionierarbeit. Das bisher wichtigste<br />
Ergebnis sieht er in der Ablösung des alten, Wissenschaft auf eine Form gesellschaftlichen<br />
Bewußtseins reduzierenden und ihren Produktivkraftcharakter verfehlenden<br />
Wissenschaftsverständnisses durch eine neue Leitkonzeption. Dieser<br />
"Paradigmenwechsel" vermittelt die praktische Politik der SED im Verlauf verschiedener<br />
<strong>Diskussion</strong>sstränge, deren wichtigste Rilling kenntnisreich rekonstruiert.<br />
Den neueren Arbeiten ist nach Rilling gemeinsam, "daß sie die Wissenschaft<br />
als ein System speZifischer gesellschaftlicher Tätigkeiten und nicht in erster<br />
Linie als Gesamtheit der Ergebnisse dieser Tätigkeit auffassen, wobei sie auf<br />
die Marxsche Bestimmung der Kategorie ,Arbeit' und auf die Widerspiegelungstheorie<br />
rekurrieren" (212). Inwiefern jedoch diese Leitkonzeption tatsächlich<br />
dem Marxschen Arbeitsbegriff verpflichtet ist, erscheint Rilling als fraglich. Wie<br />
er zu Recht betont. geht die in der DDR gegenwärtig dominierende Konzeption<br />
des <strong>Institut</strong>s für Wissenschaftstheorie und -organisation von einem umfassenderen<br />
Begriff von "Tätigkeit" aus, wodurch bedeutende methodische und politökonomische<br />
Problemzonen ausgespart werden. Das Grundproblem sieht Rilling "in<br />
der wissenschaftsökonomischen Bestimmung des Wissenschaftsprozesses und in<br />
DAS ARGUMENT 10211977 ©