Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Italienischer Weg zum <strong>Sozialismus</strong> 217<br />
vielmehr dadurch kompliziert, daß es sich auf verschiedenen Ebenen organisiert<br />
und sich in verschiedenen, veränderlichen Funktionen der einzelnen gesellschaftlichen<br />
Gruppen dynamisiert, die nur die Geschichte erklären kann. Gramsei<br />
schreibt:<br />
•. Die Vorrangstellung einer gesellschaftlichen Gruppe manifestiert sich auf zweierlei<br />
Weise, als ,Herrschaft' und als ,intellektuelle und moralische Führung'. Eine<br />
gesellschaftliche Gruppe herrscht über feindliche Gruppen, die sie zu .liquidieren'<br />
oder zu unterwerfen bestrebt ist - auch mit Waffengewalt -, und sie führt nahestehende<br />
und verbündete Gruppen. Eine gesellschaftliche Gruppe kann und muß sogar<br />
führend sein, bevor sie die Regierungsmacht erobert (dies ist eine der Hauptbedingungen<br />
für die Eroberung der Macht); danach. wenn sie die Macht ausübt, und<br />
auch, wenn sie sie fest in der Faust hält. wird sie herrschend, muß aber fortfahren,<br />
auch ,führend' zu sein"'.<br />
Dies ist die Gramscisehe Konzeption des Staates als wirkliche Ausübung der<br />
Hegemonie (Herrschaft + Führung) einer Klasse über die ganze Gesellschaft, eine<br />
Konzeption, die ihrerseits an den Begriff des "historischen Blocks" als sozialer,<br />
politischer, kultureller und ideologischer Tatsache gebunden ist, als System gesellschaftlicher<br />
und politischer Bündnisse, das eben durch eine Hegemonie zusammengehalten<br />
wird:<br />
"Die Struktur und die Suprastrukturen (der Überbau) bilden einen ,historischen<br />
Block', d. h. die komplexe und widersprüchliche Gesamtheit der Suprastrukturen<br />
ist der Reflex der Gesamtheit der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse", wobei<br />
"die materiellen Kräfte der Inhalt sind und die Ideologien die Form - eine rein<br />
didaktische Unterscheidung von Form und Inhalt, denn die materiellen Kräfte wären<br />
historisch nicht begreifbar ohne Form und die Ideologien wären individuelle<br />
Gespinste ohne die materiellen Kräfte"'.<br />
Aus diesem theoretischen Ansatz ergeben sich bedeutende Konsequenzen für<br />
die Strategie der Arbeiterklasse. Wo Gramsei die trotzkistische <strong>Theorie</strong> der permanenten<br />
Revolution diskutiert, wobei er eine während des Ersten Weltkriegs in<br />
Gebrauch gekommene militärische Terminologie benutzt, sagt er:<br />
.• Mir scheint. Lenin hatte verstanden, daß eine Wendung vom Bewegungskrieg, der<br />
1917 im Osten erfolgreich war. zum Stellungskrieg, als dem im Westen einzig möglichen.<br />
nötig war ( ... ) Dies. so scheint mir. ist die Bedeutung der Formel von der<br />
,Einheitsfront' ( ... ) Im Osten war der Staat alles. die bürgerliche Gesellschaft<br />
steckte in ihren Anfängen. und ihre Konturen waren fließend; im Westen herrschte<br />
zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft ein ausgewogenes Verhältnis. und<br />
wenn der Staat wankte. so entdeckte man sofort die kräftige Struktur der bürgerliehen<br />
Gesellschaft. Der Staat war ein vorgeschobener Schützengraben. hinter dem<br />
eine robuste Kette von Befestigungswerken und Kasematten lag, natürlich von<br />
Staat zu Staat verschieden stark, aber gerade dies erforderte eine eingehende Erkundung<br />
nationaler Charaktere" 10.<br />
Diesem Punkt folgt die Möglichkeit einer etappenweisen "Machtergreifung"<br />
durch das Proletariat, zu verstehen als Erlangung der Hegemonie. Das Moment<br />
der intellektuellen und moralischen Führung ist Bedingung für das Erringen und<br />
die Bewahrung der Herrschaft. Damit ergibt sich für das Proletariat auch die große<br />
und verpflichtende Aufgabe, die Bourgeoisie auch auf kultureller Ebene zu<br />
besiegen - nicht nur auf politischer und sozialer -, um ihrem Einfluß, ihrer Hegemonie<br />
die werktätigen Massen im allgemeinen und die Mittelschichten im benAS<br />
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