Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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260 Besprechungen<br />
Jancke, Gerhard: Ge 0 r g B ü c h n er. Genese und Aktualität seines Werkes.<br />
Einführung in das Gesamtwerk. Scriptor Verlag, Kronberg/Ts. 1975 (303 S.,<br />
br, 18,- DM).<br />
Jancke versucht zu zeigen, daß fern von allen individualistisch-liberalen Gedankengängen<br />
,.die Ablehnung der Einzelpersönlichkeit und demgegenüber die<br />
Basierung der historischen Kraft auf dem Volk ein fester Bestandteil der Büchnerschen<br />
politischen <strong>Theorie</strong> ist" (113). Die Analyse des Hessischen Landboten<br />
(75-106) und von B.s Briefen (107-135), sowie des dichterischen Werkes<br />
037-285) demonstriert überzeugend, daß B.s gesellschaftspolitische Vorstellungen<br />
unmittelbar aus den historischen und zeitgenössischen Politrealitäten entwachsen<br />
und keinesfalls als philosophisch-dramatischer Zweitaufguß von Originalrezepten<br />
des bürgerlichen Idealismus zu interpretieren sind. B. akzeptiert "nur<br />
eine Gewalt, die vom Volke und damit von der Mehrheit ausgeht" (12); das<br />
Volk aber - und damit schneidet J. sowohl völkischen wie frühmarxistischen<br />
Argumentationen den Faden ab - "besteht für B. nicht aus besitzlosen Proletariern<br />
... das Volk - das sind die Arbeitenden" (93). Die auf dem fehlgeleiteten<br />
Vermittlungscharakter des Geldes beruhende Entfremdung, die sich in Metaphern<br />
absurder "Sinnlosigkeit", leerlaufender "Langeweile'" eines "toten Lebens"<br />
in B.s Briefen und Werken niederschlägt, wird von J. als eigentliche Ursache<br />
des B.schen Leidens an der Gesellschaft gedeutet. Diese "Krankheit zum<br />
Tode" ist aber für B. nicht ein existentialphilosophisches Problem, sondern ein<br />
politisch-gesellschaftliches: "Daß die Schilderung der Klassengesellschaft wie das<br />
Produkt eines von Widersprüchen zerrissenen Geistes, einer von feindlichen<br />
Mächten okkupierten Seele erscheint - das liegt an der pathologischen Struktur<br />
der Klassengesellschaft, nicht an derjenigen des Autors" (54).<br />
Büchners egalitärer Mutualismus ist also weder kleinbürgerlich noch im späteren<br />
Sinne sozialistisch, er geht nicht ,.über den streng bürgerlichen Charakter<br />
der Menschenrechte ... hinaus", stellt "das Eigentum nicht in Frage", sondern<br />
bindet es "an die persönliche Arbeit" (97). Aus dem radikal-sozialen Denken<br />
und den revolutionären Aktivitäten B.s folgt, daß "der Angelpunkt der Büchner<br />
Interpretation, ... daß der Geschichtsidealismus B.s in der Krise vom Frühjahr<br />
1834 zusammengebrochen sei" (13) und einem historisch gestalteten Determinismus<br />
Platz gemacht habe. durchaus unbegründet ist, eine bürgerlich-idealistische<br />
Mystifikation, der immerhin auch H. Mayer (G. Biichner und seine Zeit)<br />
zum Opfer fiel. J. zeigt, daß die Interpretation der revolutionären Tätigkeit von<br />
Ende März 1834 bis zur Flucht Anfang März 1835 als einer "Stilübung" (07)<br />
sich auf ,,15 Zeilen eines Briefes" stützt .,sowie auf die Interpretation von ,Dantons<br />
Tod', die sich wiederum auf den Brief stützt" (ebda). Eine Neuinterpretation<br />
des sog. "Fatalismus"-Briefes zeigt, daß dieser eine allzu schmale Basis für<br />
eine Determinismustheorie abgibt 025-135).<br />
Die Antwort auf die Frage, ob deterministischer B. oder nicht, affiZiert natürlich<br />
jeden einzelnen Aspekt der Büchner-Forschung. Das gilt vor allem für jene<br />
zwei Geschichtstheorien und ihr Verhältnis zur historischen Realität. die das um<br />
"den Widerspruch von historischer Notwendigkeit und moralischer Verantwortlichkeit"<br />
koordinierte Drama von Dantons Tod paradigmatisch darstellt. Die der<br />
bürgerlichen Forschung endemische Zuordnung von Sympathie (Danton) und<br />
Antipathie (Robespierre) erkennt J. als den Versuch. "die privilegierte Genußphilosophie<br />
Dantons ohne Besinnung auf gesellschaftliche Realitäten als eine<br />
zeitlose Wahrheit darzustellen, die historische Aussage des Dramas durch die<br />
Konstruktion einer ewigen condition humaine zu ersetzen und vor allem ganz<br />
DAS ARGUMENT 10211977 ©