Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Sprach- und Literaturwissenschaft 255<br />
Erckenbrecht, Ulrich: Pol i t i s ehe S p r ach e. Marx, Rossi-Landi, Agitation,<br />
Kindersprache, Eulenspiegel, Comics. Verlag Andreas Achenbach, Lollar<br />
1975 (197 S., br., 9,50 DM).<br />
Erckenbrecht wendet sich mit seiner Aufsatzsammlung gegen die vielfältigen<br />
Formen der "Erstarrung der politischen Sprache" (11). Im ersten Aufsatz ("Spraehe<br />
und Politik. Theoretische Ansätze bei Marx und Engels", 9-58) gibt er als<br />
Rahmen für die politische "Sprachkritik" an: " ... es gilt nicht nur, den neueren<br />
Kapitalismus zu analysieren und abzuschaffen, sondern auch alle bestehenden<br />
Formen des <strong>Sozialismus</strong> zu untersuchen und durch bessere zu ersetzen." (1)<br />
Erckenbrecht fordert von der sozialistischen Bewegung die "scharfe Kritik an<br />
politischen Phrasen aller Art, die zunächst die Agitation erleichtern, aber sie<br />
langfriStig erschweren, da sie die Massen in der Gewöhnung an alte Sprach- und<br />
Denkmuster bestärken." (46) Kritik darf nicht zum "dirigierten Ritual" verkümmern.<br />
Er beruft sich auf Marx: "Die Arbeiterbewegung beruht auf der schärfsten<br />
Kritik der bestehenden Gesellschaft, Kritik ist ihr Lebenselement, wie kann sie<br />
selbst der Kritik sich entziehen, die Debatte verbieten wollen? Verlangen wir<br />
denn von andern das freie Wort für uns bloß, um es in unsren eigenen Reihen<br />
wieder abzuschaffen?" (MEW 37, S. 328; hier: 30) - Politisches Ziel der Agitation<br />
ist für Erckenbrecht nicht, den Adressaten zu etwas zu überreden, sondern<br />
ihn zu Einsichten zu bringen: "Nie darf das magische Element, psychisch zuweilen<br />
beinahe unentbehrlich, das rationale überWiegen oder der Reflexion entzogen<br />
werden." (100) Er gibt pointenreich einige Ratschläge für den Agitator ("Punkte<br />
zur Sprache der Agitation" 97-107): "Haust du mit schlechten Schlagwörtern auf<br />
die Pauke, zerreißt das Trommelfell und niemand hört dir zu." "Sprachliche<br />
Schlamperei stärkt den Gegner. Lieferst du ihm Aufhänger, verlierst du Anhänger."<br />
(99, 101)<br />
In dem Aufsatz "Sprachdenken beim Kind" (139-161) sieht Erckenbrecht eine<br />
Aufgabe der Spracherziehung darin, das entdeckende, aktive Moment in der<br />
kindlichen Sprachaneignung und -produktion gegen die Mechanik und Starrheit<br />
des Sprachverhaltens vieler Erwachsener zu behaupten. Das sprachlernende<br />
Kind (von Erckenbrecht etwas idealisiert) bleibe nie bei "bloßer Imitation" stehen,<br />
sei oft "innovatorisch" bis "parodistisch" (142). Es liebe die Anschaulichkeit<br />
gegen die Abstraktheit und partielle Willkürlichkeit der Sprache, Lautmalerei,<br />
Wortspiele. - Trotz StandardiSierung und Verkümmerung der Sprache in den<br />
meisten gegenwärtigen Comics verteidigt Erckenbrecht entgegen Pauschalurteilen<br />
von rechts ("undeutsch", "Schmutz und Schund") bis links ("der <strong>kritische</strong><br />
Comic müßte letztlich die Abschaffung des Comic sein") den Comic als "emanzipatorisches<br />
Massenkommunikationsmittel" ("Comics" 163-197)<br />
Im Ausgangspunkt des Aufsatzes "TiII Eulenspiegel, ein Rebell der Sprache"<br />
(111-137) droht die Eulenspiegel-Figur dem Autor historisch zu entgleiten. Erckenbrecht<br />
ordnet Eulenspiegel zunächst richtig ein in die Periode "sozioökonomischen<br />
Umbruchs" im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, versucht<br />
Eulenspiegel dann aber als bereits kapitalismuskritisch zu pointieren (vgl.<br />
112) und ihm zeitlose Züge zu verleihen. Das muß mißlingen, da Eulenspiegel<br />
seine Opfer gerade in Tauschformen des Kapitalismus hineintreibt. - Eine weitere<br />
Undeutlichkeit des Aufsatzes liegt in der Auffassung des Verhältnisses von<br />
Sprache und Handeln bei Eulenspiegel. Obwohl erkannt ist, daß "bei Eulenspiegel<br />
die Aktion selbst fast die ganze Kritik ist" (20), besteht die Tendenz, das eulenspiegelsche<br />
Sprachverhalten von seiner Funktion ("List des Überlebens") los-<br />
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