Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Individuelle Freiheit und "sozialistische Bewegung" 207<br />
beiterklasse nicht existiert, sondern nur die "sozialistische Bewegung", deren Bestandteil<br />
logischerweise auch die sozialistischen Arbeiterorganisationen als nicht<br />
wegzudisputierender Teil der Arbeiterbewegung sind. Hat hier der "cordon sanitaire"<br />
nicht schon in der Diktion der Beschreibung der Struktur der politischen<br />
Wirklichkeit Spuren hinterlassen? Oder welcher Gesichtspunkt spielt hier noch<br />
eine Rolle?<br />
Was sich in der Ungebundenheit des Intellektuellen in der "sozialistischen Bewegung"<br />
als implizite Forderung ausdrückt, bezieht offenSichtlich seine eigentliche<br />
Legitimation aus vermeintlicher oder wirklicher intellektueller Überlegenheit,<br />
denn (so W. F. Haug): "Der Wissenschaftliche Charakter des <strong>Sozialismus</strong><br />
steht im Spannungsverhältnis zu seinem demokratischen, soweit er wissenschaftliche<br />
Kompetenzen erfordert, die ungleich verteilt sind. Dies ist einer der<br />
Gründe für die subjektiv wie objektiv schillernde Rolle der Intellektuellen in der<br />
Arbeiterbewegung. Zugleich haben die Gesetzmäßigkeiten des Wissenschaftsprozesses<br />
etwas mit denen des demokratischen Prozesses fundamental gemeinsam:<br />
sie verweisen auf <strong>Diskussion</strong> und rationale Überzeugung" 13. Wenn die<br />
Freiheit des Intellektuellen von organisatorischen Bezügen aufgrund intellektueller<br />
Kompetenz naturwüchsig aus solchen Überlegungen erwächst, muß sie, wo<br />
sie in Gefahr durch organisatorische Zwänge zu geraten droht, immer verteidigt<br />
und behauptet werden. So müssen wir wohl schließen.<br />
Und weiter: Wenn die "sozialistische Bewegung" in der bisher artikulierten<br />
Form ein neuartiges historisches Subjekt sein soll, dann zeigt sich die Rolle des<br />
Intellektuellen in ihr noch einmal als eine besondere. Aufgrund seiner Kompetenzen<br />
bildet er so etwas wie eine Instanz, die in ihren Entscheidungen mehr<br />
oder weniger frei ist, denn was oder wer könnte ihr organisatorisch oder intellektuell<br />
diese Position streitig machen? Allenfalls andere Intellektuelle, denen allerdings<br />
die Auflage erteilt ist, keinen Monopolanspruch zu stellen. Könnte es sein,<br />
daß hier ein existenzialistischer Freiheitsbegriff im sozialistischen Gewande einherschreitet,<br />
denn per definitionem muß ja meine sozialistische Meinung an der<br />
des anderen ihre Grenze finden? Verkehrt sich aber damit nicht auch eine historische<br />
Frage, die jede politische Gruppierung stellen muß, nämlich diejenige, mit<br />
wem sie Bündnisse eingehen könnte, in ihr Gegenteil? Nicht die Organisationen<br />
stellen dann noch die Frage, sondern die Individuen. Natürlich muß die individuelle<br />
Situation angemessen berücksichtigt werden. Es macht jedoch einen Unterschied<br />
aus, ob das Individuum sich fragt, mit wem es unter von ihm bestimmten<br />
Prämissen Bündnisse eingeht oder welchen Bündnissen es sich anschließen<br />
kann. Es dürfte nicht allzu viele Individuen geben, die sich die Frage<br />
in der ersten Form vorlegen könnten, weil es den meisten schlicht an Macht und<br />
Einfluß gebricht.<br />
Vielleicht sollte auch die Frage so gestellt werden, inwieweit es sich in der beschriebenen<br />
Beziehung "sozialistische Bewegung" - Intellektuelle um die beim<br />
ersten Anschein wohlbegründete Umkehrung einer historischen Erfahrung handelt,<br />
der mehr oder weniger umstandslosen, dirigistischen Subsumption der<br />
Intellektuellen und wissenschaftlichen Intelligenz unter einen politisch-"theoretischen"<br />
Rigorismus, der nicht nur in den Natur-, sondern auch in den Sozialwissenschaften<br />
seinen "Lyssenkismus" hervorgebracht hat. Derartige Stalinis-