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Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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246 Besprechungen<br />

si-theologisches Produktionsmodell" (72) zugrunde, wonach ein aktives Ich die<br />

Welt der Erscheinungen selbst produziere. Dieses Produktionsmodell, dem Topitsch<br />

seinen "christlich-platonischen Ursprung" nachweisen kann. sei zugunsten<br />

der "modernen Wissenschaft" aus dem Bereich der sinnvollen und kontrollierbaren<br />

Aussagen auszuschließen. Auf diese Weise seien zwar "eindrucksvolle<br />

Gesamtdeutungen" (8) zustande gekommen - "Begriffsdichtungen" (152) -,<br />

nur eben keine Wissenschaft.<br />

Anhand der Polarität von Welterklärung und WeltüberWindung referiert Topitsch<br />

die kantischen Vermittlungsversuche von Begriff und Anschauung, Ding<br />

an sich und Erscheinung, mundus intelligibilis und mundus sensibilis, und die<br />

Widersprüche, in die diese sich verstricken. Hinzu kommt noch der Gesichtspunkt<br />

der Handlungsnormierung, d. h. das Verhältnis von theoretischer und<br />

praktischer Vernunft. Durchaus zutreffend resümiert Topitsch den Kantischen<br />

Gedankengang, der das vernünftige Ich, im Sinne einer autonomen Bestimmung<br />

von Praxis, von allem Sinnlichen und Materiellen radikal reinigt, dann aber den<br />

Weg zurück, zur Wirksamkeit in der Realität nicht mehr finden kann. Doch vergeht<br />

bei Topitsch die "Lust der Widersprüche" schnell. Zum einen ist die widersprüchliche<br />

Struktur der Transzendentalphilosophie längst herausgearbeitet, sie<br />

bildete schon den Ansatzpunkt für Hegels Dialektik, vor allem aber gelingt es<br />

Topitsch nicht, Spannungsverhältnisse für das Denken fruchtbar zu machen, er<br />

neutralisiert sie im Gegenteil durch Aufteilung in getrennte Zielkonzeptionen. So<br />

kommt er über die Wiederholung von Altbekanntem nicht hinaus; die 30 Seiten<br />

seines Moralkapitels z. B. dienen nur dazu, den Vorwurf des Formalismus gegenüber<br />

dem kategorischen Imperativ noch einmal zu statuieren. Die paradoxen<br />

Behauptungen, zu denen Kant getrieben wurde, um etwa zu erklären, wie ein<br />

"Ich an sich", das Raum und Zeit enthoben ist, dennoch in Raum und Zeit<br />

wirksam werden könne (die Aporien des transzendentalen Subjekts), interpretiert<br />

Topitsch lediglich als "Immunisierungsstrategie", womit Kant versucht habe,<br />

sich der Überprüfung zu entziehen. Dieser Vorwurf läßt sich ebenso auf die Dia-.<br />

lektik ausdehnen, die an diesen Aporien ansetzte. Die reale Nötigung zu dieser<br />

Dialektik kann Topitsch nicht begreifen; während er selbst Widersprüchen entgehen<br />

will, indem er die Zielsetzungen von Weltüberwindung und Handlungsnormierung<br />

aus der Wissenschaft ausgrenzt, vermag er diese bei Kant nicht anders<br />

zu erklären als durch dessen Verbundenheit mit dem "Erbe der antikchristlichen<br />

Metaphysik" (8). Auch dabei bleibt er bei der allgemeinen Behauptung,<br />

läßt sich also auf die Affinitäten Kants beispielsweise zum Pietismus nicht<br />

ein. Außerdem unterliegt Topitsch hier dem Trugschluß, durch Nachweis der<br />

Genesis die Geltung erledigen zu können; demgegenüber läßt es sich kaum bestreiten,<br />

daß die christliche und metaphysische Tradition durchaus rationale Beweggründe<br />

transportiert hat.<br />

So wenig eindringlich Topitschs Analyse ist, so erreicht er nicht einmal durchweg<br />

den kantischen Stand der Erörterung. Die "Kritik der Urteilskraft", Kants<br />

letzter Versuch der Vermittlung von theoretischer und praktischer Vernunft,<br />

fällt bei ihm fast gänzlich heraus, daher fehlt auch die äußerst wichtige dort getroffene<br />

Unterscheidung zwischen technischer und moralischer Praxis. Gerade<br />

diese Unterscheidung aber gibt den Hinweis auf das <strong>kritische</strong> Potential in<br />

KanI.<br />

Manfred Hinz (Berlin/West)

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