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Sozialismus-Diskussion - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Wissenschaftlicher <strong>Sozialismus</strong> braucht Demokratie 199<br />

tion der Lohnarbeiter zur bewußt handelnden Klasse überwindet zugleich notwendig<br />

diese Naturwüchsigkeit des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Die Gesellschaft,<br />

die Produkt der bewußten Aktion dieser Klasse ist, soll sich nicht nur<br />

dadurch auszeichnen, daß die vergesellschafteten Menschen die Gesetze der äußeren<br />

Natur beherrschen, sondern gerade auch dadurch, daß sie ihren gesellschaftlichen<br />

Zusammenhang, anstatt "naturwüchsig", in bewußter, planmäßiger<br />

Form gestalten können. Damit ist aber ausgesagt, daß sich die politischen Organisationen,<br />

die sozialistische Bewegung und die sozialistische Gesellschaft nur<br />

schwerlich entwickeln können, wenn sich ihre einzelnen Glieder nicht bewußt in<br />

dieser Bewegung verhalten. "Die Welt" (und diese schließt nun einmal die Gesellschaft<br />

und die Arbeiterbewegung ein) "als bloße Materie hinzunehmen", die<br />

Widersprüche "in sich selbst auszutragen" - das sind Haltungen, die gerade im<br />

radikalen Gegensatz zu dem stehen können, was sozialistische Entwicklung an<br />

Anforderungen gegenüber den Individuen stellt. Man stände sonst am Ende auf<br />

einer Position, die derjenigen des von Tomberg kritisierten "bios theoretikos"<br />

entspräche - mit dem richtigen "Standpunkt", aber eben einem Standpunkt, von<br />

dem zwar Anerkennung, nicht aber aktives Eingreifen möglich erscheint.<br />

Zum "Stalinismus" und seinen Konsequenzen<br />

Auf Zusammenhänge zwischen Deformationen der marxistischen <strong>Theorie</strong> und<br />

Praxis und dem "Stalinismus" ist bereits in den bisherigen Beiträgen eingegangen<br />

worden. Das Thema ist aufzugreifen, weil seine Interpretation von entscheidender<br />

Bedeutung für die ErkenntniS der Beziehungen zwischen sozialistischer<br />

Bewegung, gesellschaftlicher und innerparteilicher Demokratie und wissenschaftlichem<br />

<strong>Sozialismus</strong> ist. Es können hier nur einige Aspekte sehr fragmentarisch<br />

diskutiert werden. Vielleicht ist es Konsequenz einer in die Nähe mißverständlicher<br />

Naturanalogien gerückten Auffassung historischer Prozesse, wenn die<br />

Frage nach dem Zustand und dem Handeln der Klassen und ihrer Organisationen<br />

in Tombergs Sichtweise des "stalinistischen Phänomens" gar nicht erst gestellt<br />

wird. Zwischen geschichtlicher Zwangsläufigkeit des <strong>Sozialismus</strong> und dessen<br />

Verzerrungen bleibt ein Desiderat, welches durch Geschichten über "persönliche<br />

Übersteigerungen" und die Rede vom Personenkult gedeckt werden soll.<br />

So geschehen bei der Abhandlung des Falles Trotzki - als warnendes Beispiel der<br />

Folgen intellektueller Autonomie: "Seine Lebensgeschichte gibt uns Aufschluß<br />

über die Gründe (seines Versagens - C. K.). Die Autonomie seines Denkens war<br />

von Jugend auf der Motor seines HandeIns gewesen; er spürte wohl deren<br />

Schranken und war gewillt, sie aufzuheben, aber nur durch eine Praxis, in der er<br />

sich ebenso autonom bewegen konnte wie sonst nur im Reich seiner Gedanken"<br />

(Tomberg, S. 630). Trotzki entscheidet sich gegen die geschichtlichen Notwendigkeiten.<br />

Diese Entscheidung erscheint bei Tomberg in der Tat als etwas von<br />

den Auseinandersetzungen in Gesellschaft und Partei der Sowjetunion Unabhängiges.<br />

Wenn aber der dialektische Zusammenhang der "Entscheidungen" Trotzkis<br />

mit den inneren Auseinandersetzungen und der Situation der Partei nicht<br />

mehr erfaßt wird, kann auch seine Entwicklung von einem Motor des geschichtlichen<br />

Prozesses zu seinem schließlichen Hemmnis kaum mehr begriffen wer-<br />

DAS ARGUMENT 102/1977 rtJ

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