Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Wie ist es möglich, dass ich spontan springen kann? Es heißt doch:<br />
»Die Natur macht keine Sprünge«. Ist mein Gehirn etwa widernatürlich?<br />
Jedenfalls arbeitet es nicht nach den Prinzipien der Newtonschen<br />
Physik, soviel ist sicher. Es ist kein Uhrwerk. Es ist kein Computer. Es<br />
ist unberechenbar. Auch wenn jede einzelne graue Zelle in meinem<br />
Kopf isoliert, vermessen, gewogen und analysiert ist, auch wenn jeder<br />
elektrische Impuls, jede chemische Reaktion meiner Hirnaktivität erfasst<br />
werden könnte, wäre damit nichts gewonnen. Die Frage, wie aus<br />
Materie Geist wird, so dass ein überraschender Einfall entsteht, bleibt<br />
wohl auf absehbare Zeit ungelöst.<br />
Vielleicht ist uns dieses Wissen auch <strong>für</strong> immer unzugänglich, so wie<br />
wir ja auch niemals erfahren werden, wie es im Allerheiligsten des<br />
Atomkerns aussieht. Tatsächlich gibt es faszinierende Parallelen zwischen<br />
Bewusstseinsphänomenen und Quantenmechanik. Wäre es möglich,<br />
dass das Gefühl von Freiheit, das unsere Entscheidungen begleitet,<br />
mit der Heisenbergschen Unschärferelation verwandt ist? Könnte es<br />
sein, dass mein spontaner Abstecher in die Physik von einem Quantensprung<br />
in irgendeinem Winkel meiner Großhirnrinde ausgelöst worden<br />
ist? Haben die Wissenschaftler recht, die den freien Willen irgendwo<br />
zwischen den Quarks und Gluonen vermuten? Ich weiß es nicht. Ich<br />
bin mir jedoch sicher, dass ich allen deterministischen Theorien zum<br />
Trotz über einen freien Willen verfüge.<br />
�<br />
Großartig! So sind wir also doch frei! Trotz aller Triebe und Prägungen,<br />
trotz aller Erziehung und Manipulation, und obwohl das Sein das<br />
Bewusstsein bestimmt! Wir sind frei! Den Quanten sei Dank! Herrlich!<br />
Ja, wir können gar nicht anders als frei sein! Wunderbar! Wir können<br />
nicht nur tun, was wir wollen – wir können auch wollen, was wir wollen!<br />
Wenn das kein Grund zum Feiern ist!<br />
Doch auch in dieser Suppe findet sich ein Haar. Das Haarige an der<br />
Freiheit ist die Verpflichtung, die sie mit sich bringt. Eine Gottesgabe<br />
verplempert, verhökert man nicht. Man behandelt sie sorgfältig und<br />
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