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Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

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war unser Religionslehrer. Eines Tages las er uns etwas aus dem Neuen<br />

Testament vor. Jesus vor Pilatus. Jesus sagt: »Ich bin dazu geboren und<br />

in die Welt gekommen, dass ich <strong>für</strong> die Wahrheit zeugen soll. Wer aus<br />

der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.« Und Pilatus, ganz skeptischer<br />

Römer, antwortet: »Was ist Wahrheit?«<br />

»Wahrlich«, salbaderte Rehbein, »wahrlich eine große Frage: Was ist<br />

Wahrheit?« Er klappte die Bibel zu und die Tafel auf. Da stand die<br />

Wahrheit: »REHBEIN IST EIN PFARRISÄER.« (Fortsetzung folgt.)<br />

�<br />

Was ist Wahrheit?<br />

Wahrscheinlich steht jeder Mensch irgendwann vor dieser Frage. In<br />

der Regel wird ihm der gesunde Menschenverstand dann eine Antwort<br />

präsentieren, die sich etwa folgendermaßen anhört: »Eine Vorstellung<br />

oder Aussage ist genau dann wahr, wenn sie der Wirklichkeit entspricht.«<br />

Wenn ich mit einem Bekannten spazieren gehe und er unterbricht<br />

mich und sagt: »Es fängt an zu regnen«, dann halte ich die Hand<br />

auf und schaue zum Himmel. Hängen Regenwolken über uns und spüre<br />

ich Tropfen auf meiner Handfläche, dann sage ich: »Du hast recht.<br />

Es regnet wirklich.«<br />

Diese Binsenwahrheit trägt in Philosophenkreisen auch den Namen<br />

»Abbild-Theorie«. Selbst in der Formulierung eines gestandenen Philosophen<br />

wie Ludwig Wittgenstein ist sie problemlos nachzuvollziehen:<br />

»Wir machen uns Bilder der Tatsachen. Das Bild ist ein Modell der<br />

Wirklichkeit. Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht;<br />

es ist richtig oder falsch, wahr oder falsch. Um zu erkennen, ob das Bild<br />

wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.<br />

Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.«<br />

Das klingt zwar plausibel, aber auch platt. Etwas spitzfindiger, meine<br />

ich, darf <strong>Philosophie</strong> schon sein. Schauen wir also genauer hin und fragen:<br />

»Wo, werter Herr Wittgenstein, finden wir denn die Wirklichkeit,<br />

mit der wir unser Bild vergleichen sollen?«<br />

Ein konkretes Beispiel: Der Stuhl, auf dem ich sitze, erscheint mir<br />

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