02.02.2013 Aufrufe

Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Nummer drei, der Aufstand gegen die Unterdrückung, endete gewöhnlich<br />

im Massengrab.<br />

Zum Trost und zur Erbauung ersannen die Unfreien sich zwei <strong>Philosophie</strong>n:<br />

eine eskapistische, die ein Hit in jedem Gefangenenchor ist:<br />

»Die Gedanken sind frei ... Ja, fesselt man mich in finsteren Kerker, / so<br />

sind das doch nur vergebliche Werke. / Denn meine Gedanken zerreißen<br />

die Schranken / und Mauern entzwei. Die Gedanken sind frei!«<br />

Selbst Hemdenbügeln, habe ich mir sagen lassen, wird zum Vergnügen,<br />

wenn man sich dabei erotischen Träumereien überlässt.<br />

Die zweite <strong>Philosophie</strong> – in Rousseaus berühmter Formulierung:<br />

»Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er in Ketten.« – führte<br />

wie eine brennende Lunte zur Französischen und Russischen Revolution:<br />

»Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!« Die Freiheit wäre demnach ein<br />

Erbteil des Menschen, das ihm widerrechtlich genommen worden ist<br />

und das er sich mit allen Mitteln zurückholen darf. Diese Vorstellung<br />

hat religiöse Wurzeln: Die zehn Gebote kennen keine Adelsprivilegien,<br />

und die Geschöpfe von Gottvater sind logischerweise alle Geschwister.<br />

»Als Adam grub und Eva spann, wer war denn da ein Edelmann?«<br />

reimte der englische Priester John Ball bereits im 14. Jahrhundert – und<br />

wurde da<strong>für</strong> aufgehängt, dass er die Bibel allzu wörtlich nahm. Doch<br />

angenommen, die Hoffnungen von 1381, von 1789 und 1917 würden<br />

sich eines Tages erfüllen und wir lebten in einem christlichen oder<br />

kommunistischen Utopia – wären wir dadurch frei?<br />

David Hume äußerte diesbezüglich einen berechtigten Zweifel: »Der<br />

letzte Schöpfer aller unserer Willensakte ist der Schöpfer der Welt, welcher<br />

diese unermessliche Maschinerie zuerst in Bewegung gesetzt und<br />

alle Wesen in die besondere Lage gebracht hat, aus welcher jede nachmalige<br />

Begebenheit mit unvermeidlicher Notwendigkeit erfolgen<br />

musste.« Wenn die Welt ein Marionettentheater und Gott der Große<br />

Puppenspieler ist, dann sind wir weder in unseren Handlungen noch in<br />

unseren Gedanken frei, ja, nicht einmal unsere Träume gehören uns ...<br />

�<br />

– 99 –

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!