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Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

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Hinter dem seriösen Wort versteckt sich, wenn man genauer hinschaut,<br />

eine brisante <strong>Philosophie</strong>. Bildung »bildet«, d.h., sie formt etwas,<br />

das vorher ungeformt war. Der Mensch, wie er der Natur<br />

entspringt, ist nicht perfekt, nicht »fertig«. Er gleicht einem Tonklumpen,<br />

der erst noch gestaltet, »gebildet«, werden muss. Erst durch den<br />

Prozess der Bildung nimmt die Persönlichkeit Gestalt an. Diese Bildung<br />

beschränkt sich nicht auf das Büffeln von Lehrsätzen und Systemen.<br />

Es reicht nicht aus, wenn man den Brockhaus im Kopf hat und<br />

Schillers »Glocke« auswendig hersagen kann. Genauso wichtig wie das<br />

Wissen sind die Methoden, mit deren Hilfe wir zu neuen Erkenntnissen<br />

kommen. Es führen viele Wege nach Rom. Wer über die alte Via<br />

Appia einzieht, sieht eine andere Stadt als derjenige, der die Autostrada<br />

von Florenz nimmt. Man sollte deshalb schon mehrere Methoden<br />

(wörtlich: »Zugänge«) kennen. Eine Methode ist keine Methode. Erst<br />

die Summe aller Zugänge erschließt uns das ganze Bild, das »wahre«<br />

Rom.<br />

Unverzichtbar <strong>für</strong> die Bildung ist wohl auch das, was man heute als<br />

»Emotionale Intelligenz« bezeichnet. Denn Forschung ist immer<br />

menschliche Forschung. Gelehrsamkeit im menschenleeren Raum, Gelehrsamkeit<br />

um ihrer selbst willen, so wie Kien sie exerziert, ist lächerlich<br />

und sinnlos. Dr. Peter Kien, der Held in Canettis Meisterwerk Die<br />

Blendung, ist der größte lebende Sinologe und das Paradebeispiel eines<br />

Büchermenschen. Seine Bibliothek umfasst 25 000 erlesene Bände. Als<br />

Wissenschaftler ist er unfehlbar, ein Übermensch, doch er besitzt weder<br />

praktischen Verstand noch die geringste Menschenkenntnis. Und das<br />

wird ihm zum Verhängnis. Seine Haushälterin lockt ihn in die Ehe, besetzt<br />

seine Bibliothek und treibt ihn schließlich in den Wahnsinn. Kien<br />

ist eine Fiktion, doch die Gefahren der Verbildung sind real. Ihr Opfer<br />

gleicht dem Body-Builder, der vor lauter Kraft nicht laufen kann. Bildung<br />

ist also kein Wert an sich, sie muss vom Menschen ausgehen und<br />

immer wieder zum Menschen zurückkehren. Der Mensch ist das Maß<br />

aller Bildung.<br />

Die Fundamente der Bildung werden von Eltern und Lehrern gelegt.<br />

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