Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Die Verhältnisse, die Rousseau in Frankreich vor Augen hatte, legten<br />
solche Gedanken nahe: Ludwig XV. bezahlte allein 1500 Gärtner und<br />
Floristen, um Madame de Pompadour bei Laune zu halten. Die Blumenbeete<br />
in den Parks der königlichen Mätresse wurden in jeder Nacht<br />
neu bepflanzt. In speziellen Gewächshäusern wurden zu diesem Zweck<br />
zwei Millionen Blumentöpfe bereitgehalten. Auch der König selbst<br />
liebte die Abwechslung. Er hatte sich im »Hirschpark« ein verschwiegenes<br />
Privatbordell eingerichtet. Wer in Frankreich etwas galt oder sich<br />
zur Geltung bringen wollte, musste in Paris präsent sein. Die Musik<br />
spielte am Hof von Versailles. Derweil herrschte auf dem Lande das<br />
nackte Elend. Selbst im Mittelalter war es den Bauern nicht schlechter<br />
gegangen.<br />
Gegen Ende des Jahrhunderts kippte das Gesellschaftssystem, und<br />
Rousseau hatte sein Scherflein dazu beigetragen. In der Schrift Der Gesellschaftsvertrag<br />
hatte er 1762 eine Staatsform vorgestellt, die den Bürgern<br />
zugleich Freiheit, Sicherheit und Gleichheit garantieren sollte, die<br />
romantische Version einer Basisdemokratie. Von dort bis zum revolutionären<br />
Ruf nach »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!« war es nur ein<br />
kleiner Schritt. Robbespierre war ein glühender Anhänger des Philosophen.<br />
Sylvain Maréchal verfasste 1796 ein Manifest der Gleichen im<br />
Geiste Rousseaus: »Es soll keine anderen Unterschiede mehr geben zwischen<br />
den Menschen als jene des Alters und des Geschlechts. Da alle<br />
die gleichen Bedürfnisse haben und die gleichen Anlagen, so mag es<br />
denn <strong>für</strong> sie nur mehr eine gleiche Erziehung, eine gleiche Nahrung geben.<br />
Eine einzige Sonne ist ihnen genug, und sie begnügen sich mit einer<br />
Luft <strong>für</strong> alle: warum sollte ein gleicher Anteil und eine gleiche Güte<br />
von Nahrungsmitteln nicht einem jeden von ihnen genügen?«<br />
Paradoxerweise konnte sich auch der Terror der Revolution auf Rousseau<br />
berufen. Der hatte festgestellt, der »allgemeine Wille« dürfe das Individuum<br />
durchaus zu seinem Glück zwingen. Lebendig oder tot –<br />
Hauptsache gleich! Passenderweise hatte ein gewisser Doktor Guillotin,<br />
Deputierter des dritten Standes in Paris, 1789 einen Antrag gestellt,<br />
demzufolge es bei der Vollstreckung der Todesstrafe keine Standesun-<br />
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