Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Mit diesem Projekt war eine Distanzierung von der traditionellen<br />
<strong>Philosophie</strong> verbunden. Denn »die meisten Fragen und Sätze der Philosophen<br />
beruhen darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.<br />
Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich<br />
keine Probleme sind ...« Das war eine Revolution. Der 25jährige Wittgenstein<br />
erklärte zweitausend Jahre europäischer <strong>Philosophie</strong>geschichte<br />
<strong>für</strong> »unsinnig«. Die Säulenheiligen von Sokrates bis Hegel wurden als<br />
Hochstapler bloßgestellt, die mit einem aberwitzigen Aufwand an Gehirnschmalz<br />
und Lampenöl nichts als pompöse Seifenblasen produziert<br />
hatten. Nach Wittgenstein sollte die <strong>Philosophie</strong> einen prinzipiell anderen<br />
Charakter haben: »Alle <strong>Philosophie</strong> ist ›Sprachkritik‹.« Sie ist »ein<br />
Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer<br />
Sprache«.<br />
�<br />
Nun könnte man ins Grübeln kommen: »Ja, aber lohnt es sich dann<br />
überhaupt noch, Platon, Descartes oder Leibniz zu studieren?« Wittgenstein<br />
hat diese Frage <strong>für</strong> sich verneint. Ich bin nicht seiner Meinung,<br />
ausgehend von folgender Überlegung:<br />
Ist sprachliche Präzision unverzichtbar? In Lehrbüchern, Verträgen<br />
und Gebrauchsanweisungen, ja. Dort muss der Autor die Konsequenzen<br />
seiner Worte, ähnlich wie beim Pool-Billard den Stoß, im voraus<br />
berechnen, denn das anvisierte Ziel steht fest. Das lebendige Gespräch<br />
unter Freunden gleicht dagegen eher einer Kickerei, bei der man sich<br />
das Leder zupasst. Die Unterhaltung lebt davon, dass der Hörer mitdenkt<br />
und den Worten des Sprechers quasi entgegengeht. Kein Pass<br />
kommt millimetergenau an. Doch diese kleinen Missverständnisse sind<br />
kein Problem, im Gegenteil, sie geben der Unterhaltung Würze. Die<br />
Übermittlung von Informationen ist ja nur eine Funktion der Sprache,<br />
das Vergnügen am Hin und Her der Übermittlung kann genauso wichtig<br />
sein. Ich habe Spaß am Kicken, nicht weil ich den Ball bekomme,<br />
sondern weil ich mich bewege. Die Unterhaltung dient auch der Unterhaltung.<br />
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