Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Freud, indem er spekulierte, die Religion sei eine Auswirkung des Ödipuskomplexes.<br />
In der Darwinschen Urhorde hätten sich eines Tages die<br />
frustrierten Söhne gegen den Pascha-Vater verbündet, ihn massakriert<br />
und gemeinsam kannibalisch entsorgt. Mit der rituellen Siegesfeier<br />
habe die menschliche Gesellschaft ihren Anfang genommen, und die<br />
kollektive Erinnerung an die Gewalttat, eine ambivalente Mischung aus<br />
Triumph und schlechtem Gewissen, sei in der Religion konserviert.<br />
Gott war Opium <strong>für</strong>s Volk, Gott war tot, Gott war eine Zwangsneurose:<br />
Marx, Nietzsche und Freud, die Propheten des 20. Jahrhunderts,<br />
verkündeten einmütig den Atheismus. Es folgten die Weltkriege und<br />
der Holocaust. Musste das Grauen der Massenvernichtung nicht jeden<br />
Rest von Gottesglauben ad absurdum führen? Und nun noch die kalte<br />
Leere des Universums ...<br />
Es gibt da einen Witz:<br />
Ein Mann kriecht mitten in der Nacht unter einer Straßenlaterne herum.<br />
»Haben Sie was verloren?« fragt ihn ein Polizist. »Ja, meinen<br />
Schlüssel.« Der Polizist hilft beim Suchen. Nach fünf Minuten fragt er:<br />
»Sind Sie sicher, dass sie den Schlüssel hier verloren haben?« Sagt der<br />
Mann: »Nein, verloren hab ich ihn da hinten. Aber hier ist besseres<br />
Licht.«<br />
Der Mann, der da über den Boden kriecht, ist der moderne Mensch.<br />
Er sucht ständig dort, wo nichts zu finden ist, sei es das Glück, sei es<br />
die Liebe, sei es Gott. Er tappt im Hellen, unverdrossen. So wie Gagarin,<br />
als er in der Umlaufbahn nach Engeln Ausschau hielt. Der Schlüssel<br />
aber liegt irgendwo im Dunkeln.<br />
�<br />
Wie so häufig, tut auch hier die Sprache alles, um uns an der Nase<br />
herumzuführen. Das Wort »glauben« hat zwei grundverschiedene Bedeutungen.<br />
In der Alltagssprache erfordert es ein Objekt: »Ich glaube,<br />
der Zug geht um 20.30 Uhr.« – »Ich glaube, dass Bayern München<br />
Deutscher Meister wird.«<br />
In diesem Sinne ist »glauben« gleichbedeutend mit »vermuten«, es<br />
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