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Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

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mung aus – beginnend in den Beinen und endend bei den Sprechorganen.<br />

Der Tod tritt innerhalb von fünf Stunden durch Atemlähmung<br />

ein.<br />

So in etwa muss man sich das Sterben des Sokrates vorstellen. Bei<br />

Platon liest es sich beschaulicher (möglicherweise hatte man den<br />

Schierlingssaft mit Wein und Opium verfeinert): »Er ging hin und her,<br />

dann sagte er, er spüre jetzt, wie seine Glieder schwer würden, und legte<br />

sich auf den Rücken; denn so hatte es ihm der Wärter, der das Gift<br />

brachte, befohlen. Jetzt fühlte ihn dieser an, und nach einiger Zeit<br />

prüfte er seine Füße und Beine; dann drückte er heftig den Fuß und<br />

fragte ihn, ob er etwas spüre. ›Nein‹, sagte er. Und darauf dann die Unterschenkel,<br />

und indem er immer weiter hinauf fühlte, zeigte er uns,<br />

wie er allmählich kalt und steif wurde. Und er fasste ihn wieder an und<br />

sagte, wenn es bis zum Herzen fortgeschritten sei, dann werde er sterben.<br />

Schon war um seinen Unterleib fast alles erkaltet, da deckte er sich<br />

noch einmal auf – er hatte sich schon ganz verhüllt –, und sagte: ›Kriton‹,<br />

und das waren seine letzten Worte, ›wir schulden dem Asklepios<br />

einen Hahn; entrichte ihm den, und versäume es nicht.‹<br />

›Das soll geschehen‹, sagte Kriton; ›aber sieh, ob du nicht sonst noch<br />

etwas zu sagen hast.‹<br />

Auf diese Frage gab er keine Antwort mehr. Kurz darauf machte er<br />

noch eine Bewegung, und dann deckte ihn der Mann auf, und da war<br />

sein Blick gebrochen.«<br />

�<br />

Die Griechen verehrten Asklepios als Gott. Wer von einer Krankheit<br />

geheilt worden war, brachte dem Gott ein Dankopfer dar. In den letzten<br />

Worten des Sokrates drückt sich also eine ganze <strong>Philosophie</strong> aus:<br />

Leben ist Exil und Krankheit, Tod ist Heimkehr und Erlösung, das<br />

wahre Leben ist körperlose Erkenntnis, reine Liebe, und die gibt es nur<br />

jenseits des Todes, im Reich der Ideen, im Reiche Gottes.<br />

Zu allen Zeiten hat dieser Glaube fahle Blüten getrieben, im Mittelalter<br />

und im Barock genauso wie im 20. Jahrhundert, als Hermann<br />

– 94 –

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