Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schnäbel, reckten den Hals, spreizten die Flügel und neigten ehrerbietig<br />
die Köpfe, um mit Gebärden und Gezwitscher kundzutun, dass ihnen<br />
der selige Franziskus großes Vergnügen bereitet habe.« Dann<br />
zeichneten sie ein Kreuz ins Blau, indem sie in die vier Himmelsrichtungen<br />
davonflogen.<br />
�<br />
Auch in der <strong>Philosophie</strong> lebt die Tradition des Scheidewegs fort. Der<br />
Däne Sören Kierkegaard begründete die Existenzphilosophie, deren<br />
Schlüssel die Entscheidung zu einem »eigentlichen« Dasein ist. Die<br />
Französin Simone Weil lebte ihre sozialistisch-christliche Mystik so radikal,<br />
dass sie daran starb. Ludwig Wittgenstein hätte als akademischer<br />
Gelehrter leicht zu Amt und Würden kommen können. Doch er verschenkte<br />
sein Millionenerbe, lebte ohne festen Wohnsitz und kleidete<br />
sich so nachlässig, dass man ihn bisweilen <strong>für</strong> einen Landstreicher hielt.<br />
Auf die Frage nach seinem Lieblingsessen antwortete er mit kynischer<br />
Gelassenheit: »Mir egal; Hauptsache, es ist jeden Tag dasselbe.« Schon<br />
in jungen Jahren wurde ihm klar, dass die philosophische Erkenntnis<br />
ihre Grenzen am Unsagbaren findet. Sein »Tractatus« schließt: »Wir<br />
fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet<br />
sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind ...<br />
Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.«<br />
Für den philosophischen Frischling ist dies eine frohe Botschaft: Er<br />
muss nicht jahrelang dicke Schwarten wälzen, um eine Ahnung von<br />
<strong>Philosophie</strong> zu bekommen. Die Ahnung schlummert in jedem von uns<br />
– wie der mystische Glaube – und wartet nur darauf, geweckt zu werden.<br />
�<br />
Nicht alle Raumfahrer begehen den Fehler, unter der Laterne zu suchen.<br />
Kürzlich hörte ich eine Radiosendung, in der sowjetische Kosmonauten<br />
ihre Erfahrungen im All schilderten. Einige von ihnen hatten<br />
– 87 –