Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Diese formen aus dem Tonklumpen einen Rohling. Der Rohling zuckt,<br />
blinzelt, erwacht zum Leben. Das Objekt der Bildung wird zu ihrem<br />
Subjekt. Anfangs tastend, mit der Zeit immer zupackender, beginnt der<br />
Homunculus, an sich herum zu kneten. Er entdeckt »Bildungslücken«<br />
und beseitigt sie. Er streicht seine Stärken noch wirkungsvoller heraus.<br />
Er achtet wie ein Bildhauer auf die Harmonie des Gesamtbildes. Er ist<br />
Autor und Held seines privaten Bildungsromans.<br />
�<br />
Dieser humanistische Bildungsbegriff steht im Gegensatz zum landläufigen.<br />
Als Bundespräsident Herzog – unser Bildungs-Roman – der<br />
deutschen Nation ins Gewissen redete, Bildung sei ein Mega-Thema, da<br />
sprach er von der Ausbildung an Schulen und Universitäten. Ziel der<br />
Ausbildung ist die gesellschaftliche und berufliche Qualifikation. Mit<br />
dem Schulabschluss, der Gesellenprüfung, dem akademischen Grad<br />
wird die Eintrittskarte zum Erwerbsleben gelöst. Die individuelle Persönlichkeitsentwicklung<br />
ist eine willkommene Begleiterscheinung,<br />
nicht das Ziel der Ausbildung. Die Aus-Bildung ist irgendwann aus;<br />
man hat dann den Abschluss, den Meisterbrief, ein Diplom. Echte Bildung<br />
dagegen ist niemals abgeschlossen. Sie ist kein Besitz, sondern<br />
eine Aufgabe, die sich täglich neu stellt, ähnlich wie die Liebe. Übrigens<br />
ist die Liebe eine wunderbare Lehrmeisterin. Sie macht wach und<br />
aufnahmebereit. Und was macht Brechts Herr Keuner, wenn er einen<br />
Mensch liebt?<br />
»Ich mache einen Entwurf von ihm und sorge, dass er ihm ähnlich<br />
wird.«<br />
Wer? Der Entwurf?<br />
»Nein, der Mensch.«<br />
»Denn«, kommentiert Goethes Wilhelm Meister, »wenn wir die<br />
Menschen nur so nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter.<br />
Wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen<br />
wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.«<br />
Solche Liebe ist nicht leicht zu ertragen. Der Mensch erklärt sich<br />
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