Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Gemeinplatz, dass es nicht die Dinge an sich sind, die uns erheben oder<br />
niederdrücken, sondern unsere Vorstellungen von den Dingen: Das<br />
Unglück der Arbeitslosigkeit liegt auch an der Vorherrschaft eines falschen,<br />
weil allzu materiellen, allzu fremdbestimmten Bewusstseins.<br />
Ich hätte folgenden Reformvorschlag zu machen: Jedem Arbeitsamt<br />
wird ein Philosoph zugeordnet, der Kurse zum Thema »Glückliches<br />
Nichtstun – ein Zeichen von Weisheit« abhält. Wenn ich einen solchen<br />
Kurs geben dürfte, würde ich mit einer Episode aus den Lebenserinnerungen<br />
des Philosophen Paul Feyerabend beginnen:<br />
»Oft begleitete ich meine Mutter zum Friseur. ›Was willst du denn<br />
werden, wenn du groß bist?‹ fragten mich die Frauen. ›Pensionist‹, sagte<br />
ich. Da<strong>für</strong> hatte ich auch einen Grund. Wenn ich im Park saß und<br />
Sandburgen baute, sah ich oft, wie nervöse Männer mit Aktentaschen<br />
hinter überfüllten Straßenbahnen herrannten. ›Was machen die?‹ fragte<br />
ich Mama. ›Sie gehen zur Arbeit‹, sagte Mama. Dann sah ich, wie ein<br />
alter Mann still auf der Bank saß und die Sonne genoss. ›Warum sitzt<br />
der da und tut nichts?‹ fragte ich. ›Weil er pensioniert ist.‹ Nach alledem<br />
erschien mir ein Leben als Pensionist ziemlich verlockend.«<br />
Und anschließend würde ich mit den Kursteilnehmern in den Stadtpark<br />
gehen, die Enten füttern und die Wolken betrachten. Das wäre<br />
eine sinnvolle Fortbildungsmaßnahme. Als Begleitlektüre würde ich<br />
den amerikanischen Philosophen Henry Thoreau empfehlen. Der war<br />
ein berüchtigter Nichtsnutz und ein vehementer Kritiker unserer Prostitutionsgesellschaft:<br />
»Wenn ein Mensch einmal einen halben Tag lang<br />
in den Wäldern spazieren geht, weil er sie liebt, dann besteht die Gefahr,<br />
dass er als Tagedieb angesehen wird; wenn er dagegen den ganzen<br />
Tag als Unternehmer zubringt und diese Wälder abhackt und die Erde<br />
vorzeitig kahl werden lässt, so wird er als fleißiger und unternehmungslustiger<br />
Bürger betrachtet.« Und: »Die meisten Menschen würden sich<br />
beleidigt fühlen, wenn man ihnen als Arbeit anböte, Steine über eine<br />
Mauer zu werfen und sie dann wieder zurückzuwerfen, bloß damit sie<br />
ihren Lohn verdienten. Doch viele haben jetzt keine sinnvollere Beschäftigung.«<br />
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