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Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

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zimmer hüpfen die Flöhe. Die Einheimischen verstehen einen nicht<br />

oder – noch schlimmer – sprechen einen sofort in reinstem Duisburger<br />

Deutsch an. Nein, Reisen ist kein ungetrübtes Vergnügen, und nicht zu<br />

Unrecht warnt der Dichter:<br />

»Den Narren packt die Reisewut, indes im Bett der<br />

Weise ruht.«<br />

Aber Reisen erweitert den Horizont! Wirklich? Der Stoiker Seneca<br />

war da anderer Ansicht: »Was kann das bloße Reisen einem schon nützen?<br />

Es befreit unsere Seele nicht von ihren Leidenschaften. Es fördert<br />

die Urteilskraft nicht, zerstreut keine Irrtümer, sondern fesselt uns nur<br />

eine Zeitlang durch neue Eindrücke wie einen Knaben, der unbekannte<br />

Dinge anstaunt. Und das bloße Hin und Her der Reiseeindrücke<br />

macht uns seelisch noch labiler und oberflächlicher.«<br />

Wie wahr! Die »Horizonterweiterung« ist ein Selbstbetrug. Steck einen<br />

aufgeweckten Menschen ins Gefängnis, und heraus kommt ein<br />

Buch wie Boethius' Trost der <strong>Philosophie</strong>. Schicke einen Deppen auf<br />

eine Weltreise, und zurück kommt ein braungebrannter Depp. Der hat<br />

seine Nase <strong>für</strong> ein paar Wochen in exotische Luft gesteckt und ein paar<br />

Tage auf dem Klo verbracht, um sich hinfort als Kenner und Liebhaber<br />

des Reiselandes zu produzieren. Dabei kann er mit Mühe ein paar Reiseführer-Weisheiten<br />

nachplappern und einen Kaffee auf Kauderwelsch<br />

bestellen. Sein Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung beschränkt<br />

sich auf die drei Bs: bezahlen, Bakschisch geben, sich beklauen lassen.<br />

Eine noch schlimmere Seuche ist – jawohl! – der sendungsbewusste<br />

Rucksack-Tourist, der, stets auf der Jagd nach naiver Gastfreundschaft<br />

und jungfräulichen Stränden, alles infiziert, was er zu lieben vorgibt. Er<br />

ist die Schlange der letzten Paradiese, die Speerspitze der Müllgesellschaft,<br />

das stärkste Argument <strong>für</strong> den Kannibalismus. Die Libertins des<br />

18. Jahrhunderts, die ihre Syphilis durch den Verkehr mit unberührten<br />

Mädchen zu heilen versuchten, waren vom gleichen Schlag. Da lob' ich<br />

– 153 –

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