Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Wo das Persönliche allzu kurz kommt, kann das Normale zur Qual<br />
werden. Arbeit wird dann zur Zwangsjacke und zur chinesischen Wasserfolter:<br />
Jeder Tag ein Tropfen, der das Leben höhlt. Wem es nicht gelingt,<br />
einen persönlichen Sinn in seiner Arbeit zu sehen, den degradiert<br />
sie zum Roboter, zum Rädchen in einer Maschinerie, zum<br />
Ding. Arbeit, die als Verdingtheit empfunden wird, ist ein doppeltes<br />
Unglück. Statt Freude zu bereiten, macht sie krank. Die Große Arbeit<br />
führt zur Selbstfindung, Verdingtheit zur Selbstentfremdung. Die Große<br />
Arbeit verwirklicht das Selbst, Verdingtheit vergewaltigt das Selbst.<br />
Nur die Liebe ist ähnlich wichtig <strong>für</strong> die Persönlichkeitsentwicklung<br />
wie die Arbeit. Die Große Arbeit entspricht der Großen Liebe, der<br />
halbherzig ergriffene Beruf einer Vernunftehe, Verdingtheit der unheiligen<br />
Prostitution.<br />
Eigentlich sollte man seinem Personalchef ja die Schuhsohlen küssen,<br />
wenn man aus einer Verdingtheit freigesetzt wird. Und doch tun das<br />
die wenigsten, denn noch niederschmetternder als die Verdingtheit erscheint<br />
oft die Arbeitslosigkeit. Ursachen dieser Depression sind die finanzielle<br />
Einbuße, der Verlust der sozialen Stellung und die Verletzung<br />
des Selbstwertgefühls.<br />
Glücklich, wer als Philosoph arbeitslos wird – oder als Arbeitsloser<br />
seine philosophische Ader entdeckt. Denn schon Sokrates hat bemerkt:<br />
»Wer am wenigsten Ansprüche stellt, der ist den Göttern am nächsten.«<br />
Die gesellschaftliche Position ist <strong>für</strong> das Wohlbefinden des Weisen<br />
ebenso unwesentlich wie der Porsche vor der Haustür. Und der Wert eines<br />
Menschen kann doch wohl nicht davon abhängen, ob er als Rädchen<br />
im Produktions- oder Verwaltungsprozess reibungslos<br />
funktioniert. Ja, sein Wert beruht vielleicht gerade darauf, dass er aus<br />
der großen Maschinerie herausfällt – so wie die Zahnräder des eigentümlichen<br />
Exekutionsapparats in Kafkas Strafkolonie.<br />
�<br />
Ich will das Elend der Massenarbeitslosigkeit nicht veralbern oder heroisieren,<br />
aber ich erlaube mir den Hinweis auf den philosophischen<br />
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