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Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf

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flasche.<br />

Wasserhähne, Tiefkühlfach, Musikkonserven – wir haben uns daran<br />

gewöhnt, dass die Gebrauchsgegenstände unabhängig von Jahres- und<br />

Tageszeiten funktionieren. Wir Menschen aber entpuppen uns als Anachronismen<br />

in dieser schönen, zeitlosen Welt. Vergeblich versucht<br />

Charlie Chaplin in »Modern Times«, mit dem Fließband Schritt zu halten.<br />

Der Mensch ist chronisch unzuverlässig. Unsere biologische Uhr<br />

geht nach dem Mond. Wenn ich meinen Puls messe, fällt mir der Unterschied<br />

ins Auge. Gleichförmig ruckt der Sekundenzeiger der Armbanduhr<br />

im Kreis, während die Blutuhr am Handgelenk mal hüpft und<br />

mal humpelt. Ein völlig regelmäßiger Puls verrät den Herzschrittmacher.<br />

Das persönliche Zeitgefühl orientiert sich nicht am Cäsium-<br />

Atom, es reagiert auf Hormone und Ortsveränderungen. Auf Reisen<br />

gibt es auch eine innere Zeitverschiebung. Die Zeit vergeht dann wie<br />

im Fluge, wohingegen sie dem Stubenhocker oft stillzustehen scheint,<br />

zumal wenn der Fernseher defekt ist und der Mann vom Kundendienst<br />

sich Zeit lässt.<br />

Uhren, wohin man blickt. Und auch dort, wo man nicht hinsehen<br />

kann. Ist nicht jedes Lebewesen ein Zusammenspiel von organischen<br />

Uhren? Haut und Haare, die Keimdrüsen, das Herz, die Augen, das<br />

Gehirn – es gibt keinen Körperteil, in dem nicht ein Countdown abliefe.<br />

Ja, sogar der Blick in ein Pferdemaul enthüllt den Zahn der Zeit.<br />

�<br />

Was aber ist eigentlich die Zeit?<br />

»Etwas ganz Offenkundiges und Alltägliches, und trotzdem bleibt es<br />

hoffnungslos verborgen, und etwas Unerhörtes ist des Rätsels Lösung«,<br />

wunderte sich der heilige Augustinus. »Wenn niemand mich danach<br />

fragt, so weiß ich es; will ich es dem Fragenden auseinandersetzen, so<br />

weiß ich es nicht.« So kann man wohl kaum behaupten, die Zeit existiere.<br />

Die Vergangenheit nämlich existiert nicht mehr, die Zukunft aber<br />

existiert noch nicht. Bleibt die Gegenwart. Die jedoch ist nur ein kontinuierliches<br />

Umschlagen der Zukunft in die Vergangenheit, eine ge-<br />

– 128 –

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