Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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gemeint‹ und als außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden<br />
wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an<br />
die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben<br />
wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines<br />
eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß<br />
verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft ...«<br />
Vieles an diesem Steckbrief des Spiels leuchtet unmittelbar ein. Betrachten<br />
wir einige exemplarische Spiel-Varianten:<br />
Das Schauspiel steht zweifellos außerhalb des gewöhnlichen Lebens.<br />
Es ist beschränkt auf die Bretter, die die Welt bedeuten, und die Dauer<br />
einer Vorstellung. Früher trug man Masken und sprach in Versen, dem<br />
Idiom der Kunstwelt. Noch heute sind die professionellen Schauspieler<br />
ein Völkchen <strong>für</strong> sich. (Ein bisschen aber schauspielert wohl jeder. Deshalb<br />
werden ja, genau genommen, bei jeder Theatervorstellung zwei<br />
Stücke gegeben: irgendein Bühnendrama, das dem Publikum präsentiert<br />
wird, und das Gesellschaftsspiel »Theaterabend«, in dem das Publikum<br />
mitwirkt, indem es sich selbst spielt. »Man kommt, um zu<br />
schau'n, und stellt sich auch selber zur Schau«, schrieb Ovid.)<br />
Der Punkt »kein materielles Interesse« gibt zu denken: Marion Brando<br />
verlangt eine Million <strong>für</strong> jedes Wort, das er sich abringt. Ist das noch<br />
Schau-Spiel?<br />
Die Olympischen Spiele sind ebenfalls ein Spektakel, und sie waren,<br />
ähnlich wie das Schauspiel, ursprünglich eine kultische Veranstaltung.<br />
Olympisches Feuer, olympischer Eid, olympischer Friede im Zeichen<br />
der fünf Ringe – all das greift die kultische Tradition auf. Die Aktiven<br />
aus aller Herren Länder leben im Utopia des Olympischen Dorfs. Das<br />
Spiel schafft sich eine weltfremde Zelle in Raum und Zeit. Dennoch<br />
gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem mimetisch-kreativen<br />
Spiel auf der Bühne und dem sportlichen Wettkampf, dem agón.<br />
Auf der Bühne und im Konzertsaal wird um den Ausdruck gerungen,<br />
im Stadion um den Sieg. Auf den Olympioniken wartet am Ziel die<br />
Goldmedaille, die Verlierer gehen leer aus. Im Theater spielt man nicht<br />
gegen-, sondern mit- und <strong>für</strong>einander.<br />
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