Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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DIE FREIHEIT<br />
ODER SIND SIE<br />
EINE BILLARDKUGEL?<br />
»Willensfreiheit ist das bewußte Begreifen des eigenen<br />
Lebens. Frei ist, wer sich als lebendig begreift.<br />
Und sich als lebendig begreifen heißt, das Gesetz seines<br />
Lebens zu begreifen, heißt, danach zu streben, das<br />
Gesetz des eigenen Lebens zu erfüllen.«<br />
(Leo Tolstoi)<br />
Das Wort »frei« enthält ein Kaleidoskop von Bedeutungen. Freibier<br />
ist nicht unbedingt alkoholfrei. Wenn eine Frau sich frei macht, ist sie<br />
deshalb noch keine Freifrau. Der Zuchthäusler arbeitet vielleicht im<br />
Freien, während der Gefreite den ganzen Tag im Bunker sitzt. Was ist<br />
das Gegenteil von »frei«? Unterdrückt? Kostenpflichtig? Besetzt?<br />
Ursprünglich, belehrt mich das Etymologische Wörterbuch, hieß<br />
»frei« soviel wie »lieb«. Die »Freien« waren diejenigen, mit denen man<br />
freundlich, d.h. von gleich zu gleich verkehrte. Die Urbedeutung hat<br />
sich in dem Wort »Freier« erhalten sowie indirekt in dem Wort »Freitag«.<br />
Der 5. Wochentag ist ja niemals arbeitsfrei gewesen, er hat seinen<br />
Namen vielmehr von Frija, der altgermanischen Göttin der Liebe.<br />
Das stolze Wort »frei« gehörte der Herrensprache an. Es wurde zum<br />
Synonym <strong>für</strong> alles, was die »lieben« Angehörigen der Oberschicht miteinander<br />
verband und sie vom gemeinen Volke, von den Leibeigenen<br />
und Sklaven trennte: wirtschaftliche Unabhängigkeit, politische Autonomie<br />
und ein durch Bildung und Reisen relativ aufgeklärtes Denken.<br />
Kein Wunder, dass alle Menschen sich nach Freiheit sehnten, aber es<br />
gab, wenn man nicht zufällig frei geboren war, nur drei Wege zu diesem<br />
Ziel: Weg eins, die gnädige Freilassung, war mit Arbeit gepflastert und<br />
unsicher. Die Flucht setzte voraus, dass es einen Zufluchtsort gab. Weg<br />
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