Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
stellt. Dadurch kommt auch der Gesichtspunkt des Nutzens und der<br />
Lust in dieser Freundschaft zur Geltung. Und alles ruht auf der Tugend,<br />
wenn die Partner anständige Menschen sind: jeder hat seinen<br />
Vorzug, und daran haben sie ihre Freude.«<br />
Die Liebe, die in einer partnerschaftlichen Verbindung gedeiht, ist<br />
nicht so konstant auf dem sexuell-spirituellen Ego-Trip wie der éros –<br />
außer vielleicht im Wahnsinn der ersten Wochen und Monate, wenn<br />
der Prozess abläuft, den Stendhal als »Kristallisation« beschrieben hat,<br />
wenn nämlich die rosarote Brille der Liebe das Bild des Partners dermaßen<br />
idealisiert, dass die wahre Persönlichkeit wie unter einer Schicht<br />
von Zuckerguss verschwindet. Andererseits ist die partnerschaftliche<br />
Liebe auch nicht so absolut selbstlos wie die christliche agápe – außer<br />
vielleicht, wenn einer der Partner auf der Intensivstation liegt.<br />
Die philía hat Anteil an den beiden idealen Extremen der Liebe, ihren<br />
Kern macht jedoch etwas anderes aus: die elementare Freude am<br />
bloßen Zusammensein. »Liebe«, schreibt Stendhal, »ist das Vergnügen,<br />
ein liebenswertes, uns liebendes Wesen zu sehen, zu berühren, mit allen<br />
Sinnen und darum in nächster Nähe zu fühlen.« Im Laufe der Zeit<br />
kommt der Stolz auf das, was man gemeinsam auf die Beine gestellt<br />
hat, hinzu, sowie die Sorge um das, was man gemeinsam auf die Wickelkommode<br />
gelegt hat: »Die Kinder bedeuten ein gemeinsames Gut,<br />
alles Gemeinsame aber bindet«, bestätigt Papa Aristoteles.<br />
In der philía ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile, und das<br />
macht sie ökonomisch hochinteressant: Beide Partner zahlen Liebe auf<br />
das gemeinsame Konto ein, und beide heben Liebe ab. Die Partnerschaftsbank<br />
aber gewährt so hohe Zinsen, dass beide erheblich mehr<br />
abheben können, als sie eingezahlt haben. Die philía ist kein Nullsummenspiel,<br />
eine Erfahrungstatsache, die der Volksmund auf den Punkt<br />
bringt: »Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.«<br />
Aber halt! Wenn die Liebe so einfach und lohnend ist, wie kommt es<br />
dann, dass immer mehr Ehen geschieden werden und die Zahl der Single-Haushalte<br />
kontinuierlich zunimmt? Die Antwort ist paradox: Die<br />
– 40 –