Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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mein PC mit seinen arbeitsfeindlichen Spielen. Wie viele Bauern,<br />
Schlachter, Fabrikarbeiter, LKW-Fahrer und Händler, frage ich mich,<br />
haben wohl dazu beigetragen, dass mein Eisschrank voll ist? Wie viele<br />
Menschen müssen zusammenarbeiten, damit ich mir eine Tiefkühl-Pizza<br />
<strong>für</strong> DM 2,99 kaufen kann, vom Maisanbau <strong>für</strong> das Schweinefleisch<br />
in der Salami über die Ölförderung <strong>für</strong> die Plastikfolie bis zum Holzeinschlag<br />
<strong>für</strong> die Pappschachtel?<br />
Vergessen wir nicht die Früchte kultureller Arbeit! Das Klavierkonzert<br />
aus dem Radio klingt schwerelos wie Vogelgezwitscher, aber erst<br />
durch jahrelange Knochenarbeit wird aus dem Hosenmatz ein Horowitz.<br />
Im Funkhaus arbeiten Musikredakteure und Toningenieure. Und<br />
welche anonyme Asiatin hat wohl mein Radio mit geschickten Fingern<br />
zusammengeschraubt?<br />
Und dann die im ganzen Arbeitszimmer verteilten Bücher. Bücher<br />
aus hundert Verlagen. Man stelle sich die Lektorate vor, die Druckereien,<br />
die Auslieferungen, die Buchhandlungen, von den Autoren ganz zu<br />
schweigen. Aber halt, warum ausgerechnet die Autoren übergehen?<br />
Auch dieser Text ist Arbeit. Jedes Wort ein Destillat aus Blut, Schweiß<br />
und Kaffee, jede Formulierung eine mühselige Expedition in die Salzwüste<br />
des Bildschirms. Schreiben ist – trotz der Orgasmen, die gelegentlich<br />
dabei abfallen – auch Schwerstarbeit, jawoll.<br />
�<br />
Als Zeugen rufe ich Franz Kafka auf: »Unbedingt weiterarbeiten«,<br />
notiert er am 2.12.1914 in sein Tagebuch, »traurig, dass es heute nicht<br />
möglich ist, denn ich bin müde und habe Kopfschmerzen, hatte sie<br />
auch andeutungsweise vormittag im Bureau. Unbedingt weiterarbeiten,<br />
es muss möglich sein, trotz Schlaflosigkeit und Bureau.« Am 8.12:<br />
»Gestern zum erstenmal seit längerer Zeit in zweifelloser Fähigkeit zu<br />
guter Arbeit.« Am 14.12.: »Jämmerliches Vorwärtskriechen der Arbeit<br />
...«<br />
Wenn Kafka von »Arbeit« spricht, dann meint er damit immer das<br />
Schreiben, während seine Lohnarbeit bei der »Arbeiter-Unfall-Versiche-<br />
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