Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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hält sie in Ehren. Einer meiner Freunde hat ein Hölderlin-Gedicht an<br />
der Wand seines Arbeitszimmers hängen, in dem es heißt:<br />
»Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,<br />
dass er, kräftig genährt, danken <strong>für</strong> Alles lern,<br />
Und versteh die Freiheit,<br />
Aufzubrechen, wohin er will.«<br />
Die Freiheit verstehen. Das ist nicht leicht. Freiheit wird heutzutage<br />
leicht mit Freizeit verwechselt. Dabei ist sie etwas völlig anderes. Freizeit<br />
ist frei von Verpflichtungen, Freiheit ist frei <strong>für</strong> Verpflichtungen. In<br />
der Freizeit suche ich die Zerstreuung, in der Freiheit bemühe ich mich<br />
um die Konzentration meines Wesens. Die Freizeit flieht vor den Aufgaben<br />
des Lebens. Die Freiheit verfolgt ein Ziel, einen Sinn, eine Lebensaufgabe.<br />
Jeder Mensch hat seine ganz persönliche Lebensaufgabe. Eine Lebensaufgabe<br />
aber ist uns allen gemeinsam: Eines Tages muss der freie<br />
Wille sich selbst verneinen, damit wir uns wie ein welkes Blatt vom<br />
Baum des Lebens fallen lassen können.<br />
�<br />
Pünktlich zur Urteilsverkündung war ich noch einmal eingeschlafen.<br />
Der Richter las vor: »Bla bla ... in allen Anklagepunkten determiniert<br />
und deshalb unschuldig. Er wird dazu verurteilt, lebenslänglich frei zu<br />
sein.«<br />
»Halt!« rief ich. »Das können Sie doch nicht machen!« »Im Gegenteil«,<br />
sagte der Richter mit einem sarkastischen Grinsen. »Ich kann gar<br />
nicht anders. Ich bin so determiniert.«<br />
Zum Weiterlesen empfehle ich:<br />
Seminar. Freies Handeln und Determinismus, hrsg. von Ulrich Pothast<br />
(Frankfurt/M. 1978).<br />
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