Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Schuh selbst am lautesten lacht. Oder mit den wohlgesetzten Worten<br />
Wilhelm Buschs:<br />
»Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,<br />
er flattert sehr und kann nicht heim.<br />
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,<br />
Die Krallen scharf, die Augen gluh.<br />
Am Baum hinauf und immer höher<br />
Kommt er dem armen Vogel näher.<br />
Der Vogel denkt: Weil das so ist<br />
Und weil mich doch der Kater frisst,<br />
So will ich keine Zeit verlieren,<br />
Will noch ein wenig quinquilieren<br />
Und lustig pfeifen wie zuvor.<br />
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.«<br />
Die Welt ist voller Hundehaufen. Und jeder Mensch ist ein Vogel,<br />
der dem Leben auf den Leim gegangen ist. Wenn man trotzdem über<br />
sich und die Welt lachen kann, dann gelingt das nur, weil der menschliche<br />
Geist nicht gefangen ist, weder in sich noch in dieser Welt. Als<br />
Hundehaufenopfer kann ich mich mit den Augen der anderen betrachten<br />
und meine Wut selbst komisch finden. Als Mensch, der dem Alter,<br />
der Krankheit und dem Tod geweiht ist, kann ich mich quasi mit den<br />
Augen der Ewigkeit sehen: als winzige, kurzlebige und gänzlich unbedeutende<br />
Kreatur, die sich gleichwohl unendlich wichtig nimmt.<br />
Der Humor sprengt die Grenzen unserer Existenz und erhebt uns so<br />
über Ohnmacht und Verzweiflung. Ja, man könnte sagen, der Humor<br />
sei eine instinktive Form des religiösen Glaubens, eine Erlösungsphilosophie<br />
des Bauches. Aus dessen zuckenden Tiefen steigt unser Lachen –<br />
einem freigelassenen Vogel gleich – in den Himmel empor, wo es sich<br />
über den Wolken mit dem unauslöschlichen Gelächter der homerischen<br />
Götter vereinigt.<br />
�<br />
– 174 –