Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Tod erscheint als das Böse schlechthin, als GAU der Medizin, als das,<br />
was nicht sein darf. Psychologen vermuten, das Personal der Intensivstation<br />
rebelliere, wenn es einen schwerstkranken 91jährigen reanimiere,<br />
unbewusst gegen die eigene Vergänglichkeit. Vielleicht ist es auch nur<br />
sportlicher Ehrgeiz. Oder ein bedingter Reflex. Oder die Angst vor dem<br />
Eingeständnis, nichts mehr tun zu können. Oder alles zusammen. Für<br />
den jungen Menschen ist Gesundheit normal, die Krankheit wird als<br />
das Unnatürliche bekämpft, oft erfolgreich. Doch mögen wir auch viele<br />
Schlachten gewinnen, den Krieg gewinnt der Tod. Und er muss, er soll<br />
triumphieren. Im hohen Alter ist Sterben das Normale, ja, das Gesunde,<br />
und Lebenserhaltung um jeden Preis vergewaltigt die Natur.<br />
Vor Jahren hatte ich das Glück, einen Herzstillstand zu überleben.<br />
Ich denke voll Dankbarkeit an alle Menschen, die mich damals gerettet<br />
haben. Wie mein Tod die Schlappe verdaut hat, werde ich hoffentlich<br />
erst in einigen Jahren erfahren. Der Tod im Märchen jedenfalls war zornig.<br />
Er zerrte den Arzt in eine unterirdische Höhle, in der Tausende<br />
von Kerzen brannten. »Siehst du«, sprach er, »das sind die Lebenslichter<br />
der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen gehören<br />
Leuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen.« Der Arzt<br />
fragte, welches denn sein Lebenslicht sei. Der Tod deutete auf einen<br />
winzigen Kerzenrest. Im nächsten Augenblick erlosch die Flamme, und<br />
der Arzt sank entseelt zu Boden.<br />
Der Tod in diesem Märchen ist kein Bösewicht, eher ein melancholischer<br />
Dämon. Der Arzt ist es, der die göttliche Ordnung stört. Er hat<br />
das rechte Maß verloren und kennt seine Grenzen nicht. Eine Berufskrankheit<br />
der Medizinmänner? Schon der Ahnherr der Ärzte, Asklepios,<br />
wurde vom Göttervater Zeus erschlagen, weil er seine<br />
Kompetenzen überschritten und Tote wiederbelebt hatte. Gegen den<br />
strafenden Blitz war kein Kraut gewachsen.<br />
Für den Tod wachsen viele Kräuter. Zum Beispiel Conium maculatum,<br />
der Gefleckte Schierling, ein weißblühendes Doldengewächs. Bei<br />
schwerer Schierlingsvergiftung kommt es zu Schwindelgefühl, Erbrechen,<br />
Durchfall, man friert, dann breiten sich Gefühllosigkeit und Läh-<br />
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