Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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Die »Feste Arbeit« hat in unserer Gesellschaft eine Funktion übernommen,<br />
wie sie über viele Jahrhunderte die Kirche ausfüllte. Wer den<br />
Fetisch Arbeit verloren hat, ist quasi exkommuniziert. Und so fühlt er<br />
sich denn auch: ausgeschlossen und ausgeliefert. Als habe die Kirche<br />
ein Monopol auf den Glauben, als gäbe es keine nützliche Arbeit außerhalb<br />
einer festen, tariflich bezahlten Anstellung. »Ein tüchtiger und<br />
wertvoller Mensch tut, was er kann, ob die Gesellschaft ihn bezahlt<br />
oder nicht«, schreibt Thoreau. »Die Untüchtigen überlassen ihre Untüchtigkeit<br />
dem, der am höchsten bietet, und sie erwarten ständig, in<br />
ein Amt eingesetzt zu werden ... Ich hoffe inständig, dass ich nie auf<br />
diese Weise mein Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht verkaufen<br />
werde.«<br />
Thoreau bestritt seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten<br />
als Landvermesser, als Schuster, zeitweise auch durch Unterrichten. Im<br />
Sommer 1845 bezog er ein einsames Blockhaus an einem See in den<br />
Wäldern, wo er sein Ideal vom einfachen, natürlichen Leben verwirklichen<br />
wollte. Das Experiment glückte nicht ganz. Nach zwei Jahren<br />
kehrte der Einsiedler in die Zivilisation zurück. Den Propheten zieht es<br />
zwar ab und an in die Wüste, doch sein eigentlicher Beruf ist das Predigen.<br />
Wir brauchen Typen wie Thoreau, die gegen den goldenen Ochsen<br />
Arbeit predigen. Wir vergessen nämlich nur allzu leicht,<br />
– dass Arbeitslosigkeit mehr sein kann als das nutzlose, trostlose Herumlungern<br />
in der Wartehalle eines Bahnhofs, von dem schon lange<br />
kein Zug mehr abfährt; nämlich die würdevolle Weigerung, hinter<br />
einer überfüllten Straßenbahn herzurennen, und die Freiheit, sich<br />
einer sinnvollen Beschäftigung zu widmen;<br />
– dass Arbeit mehr sein kann als ein Zweckbündnis zur Wahrung des<br />
materiellen Lebensstandards oder absurder Aktivismus im Hamsterrad:<br />
nämlich Arbeit an sich selbst und zum Wohle der Menschheit;<br />
– und dass Sisyphos zwar zum Stein verurteilt ist, dass jedoch unter<br />
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