Moser, Friedhelm - Kleine Philosophie für Nichtphilosophen.pdf
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ter grausamsten Umständen aus ihrer Heimat vertrieben werden, oder?<br />
Der Zweck entschuldigt die Tornados. Gibt es ihn also doch, den moralischen<br />
Krieg?<br />
Jeder Krieg ist moralisch, sagt der Realist. Wer einen Krieg führen<br />
wollte, der war um die Moral noch nie verlegen. Als die Kreuzritter<br />
nach Jerusalem aufbrachen, um Christi Grab zu »befreien«, hatten sie<br />
da etwa ein schlechtes Gewissen? Im Gegenteil. »Gott will es!« hatte der<br />
Papst höchstpersönlich verkündet. Es war also eine Art Gottesdienst, als<br />
die Christen am 15. Juli 1099, vom heiligen Zorn übermannt, im eroberten<br />
Jerusalem über 50 000 Muslime und Juden abschlachteten.<br />
Gottes Wille ist bis heute ein beliebtes Argument.<br />
Wer nicht an Gott glaubt, der zitiert Macchiavelli: »Die Eroberungslust<br />
ist etwas sehr Natürliches und Verbreitetes, und sooft Fürsten, die<br />
die Macht dazu haben, auf Eroberungen ausgehen, werden sie gepriesen<br />
oder wenigstens nicht getadelt.« Ein Angriffskrieg, fand der Florentiner<br />
Philosoph, sei nur dann verwerflich, wenn er mit einer Niederlage<br />
ende; die Moral ergreife stets die Partei des Siegers. Womit er nicht<br />
ganz unrecht hatte.<br />
Die Verteidigungsminister unserer Tage führen, wenn sie ihre Kriege<br />
verteidigen, mit Vorliebe das kleinere Übel ins Feld. Man entschließt<br />
sich nur dann zum Kampf, wenn es Schlimmeres zu verhindern gilt.<br />
Man will einem Angriff des Feindes zuvorkommen (wie die Israelis im<br />
Sechs-Tage-Krieg), man will der Ausbreitung einer totalitären Ideologie<br />
einen Riegel vorschieben (wie die Amerikaner in Vietnam), man will<br />
(wie »wir« jetzt im Kosovo) einen Völkermord verhindern. So wird der<br />
Angreifer zum Verteidiger – des eigenen Lebens, der freiheitlichen Ideale<br />
oder der Menschenrechte. Dies mag im konkreten Einzelfall durchaus<br />
den Tatsachen entsprechen, die Begründung hat jedoch einen<br />
strukturellen Haken: Was durch den Präventivkrieg verhindert werden<br />
soll, ist noch nicht eingetreten und deshalb immer hypothetisch. AnHypothesen<br />
aber hat noch niemals Mangel geherrscht, schon gar nicht in<br />
den Planspielen der Militärs. Das erste Opfer in jedem Krieg ist die<br />
Wahrheit.<br />
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