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Bildung - Alles, was man wissen muss

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226 WISSEN<br />

sichtbar machen zu können. Darin aber ähnelt die Seele auch dem Theater, das dem<br />

Menschen den Spiegel vorhält (die Schauspieler sind unsichtbar, um die Figuren<br />

sichtbar zu machen). So wie der Himmel regnet, so weinen die Engel über das, worüber<br />

wir in unserer Beschränktheit lachen: unsere grotesken Verrenkungen. Der<br />

Mensch steht also genau in der Mitte zwischen göttlichen Engeln und tierischen Affen,<br />

die sterbliche Seite nach außen gekehrt, die unsterbliche unsichtbar und darin<br />

selbst wieder dem Spiegel gleich, der unwandelbar und unsichtbar nur die flüchtigen<br />

Erscheinungen sichtbar macht. In nur sechs Zeilen gelingt es Shakespeare, die ganze<br />

Kosmologie, Engel, Affen, Menschen, das Theater, Lachen und Weinen, Himmel und<br />

Erde im Spiegel der Sprache heraufzubeschwören, um uns zu zeigen, <strong>was</strong> Autoritätsanmaßung<br />

ist, zu der ein Amt verfuhrt. Das ist Magie.<br />

Wer so et<strong>was</strong> nachvollziehen kann – nicht mühselig und langsam, so wie jetzt,<br />

sondern im Rhythmus und Tempo des Verses –, der hat das Gefühl, Gott am ersten<br />

Schöpfungstage zuzuschauen; der erlebt den Urknall als einen poetischen Orgasmus<br />

der Kreativität. Es gibt kein besseres Gefühl auf dieser Erde als dieses. Es befreit aus<br />

Depression und schlechter Laune und macht dankbar dafür, daß <strong>man</strong> lebt.<br />

Jean-Baptiste Molière<br />

Die klassisch-französische Literatur ist bis heute lebendig geblieben in der Gestalt des<br />

Jean-Baptiste Molière (1622–1673), der eigentlich Jean-Baptiste Poquelin hieß. Molière<br />

ist der Schöpfer der französischen Komödie und wurde der Favorit Ludwigs XIV.<br />

Als theatralisches Allround-Talent schrieb er die Stücke, führte Regie und spielte<br />

selbst die Hauptrolle. An den Titeln seiner Komödien sieht <strong>man</strong>, daß er sich über solche<br />

Charaktertypen lustig macht, die durch eine bestimmte Besessenheit aus dem<br />

Gleichgewicht gebracht worden sind und sich in dieser Schieflage verfestigt haben.<br />

Wegen dieser Typik sind die entsprechenden Figuren sprichwörtlich geworden.<br />

In Der Misanthrop (Der Menschenfeind) hat der Titelheld Alceste sich geschworen,<br />

sich nicht mehr nach den heuchlerischen Konventionen der Gesellschaft zu richten,<br />

sondern nur noch ehrlich und aufrichtig zu sprechen. Leider ist er aber in die scharfzüngige,<br />

eitle und kokette Célimène verliebt, die all das verkörpert, <strong>was</strong> er verachtet,<br />

während er selbst die Zuneigung der aufrichtigen Eliante zurückweist. Damit zeigt<br />

Molière die Ambivalenzen der starken Gefühle: Man haßt das besonders, <strong>was</strong> <strong>man</strong><br />

heimlich liebt; nur die verachten die Gesellschaft, die sie vergeblich umworben haben.<br />

In Der Geizige zeigt uns Molière den aus Lebensangst komprimierten Wahnsinn,<br />

den nur das Geld hervorbringen kann. Einer der Typen, der von Molières Schöpfungen<br />

seinen Namen bezogen hat, ist der Tartuffe oder der Heuchler. Dabei handelt es<br />

sich um einen öligen moralischen Hochstapler, der sich hinter einem Schleier salbungsvoller<br />

Reden in das Vertrauen des einfältigen Orgon einschleicht, sich in sein

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