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Bildung - Alles, was man wissen muss

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DAS HAUS DER SPRACHE 425<br />

Emil<br />

Die Entdeckung der beiden Achsen der Sprache – Kombination im Satzbau und Selektion<br />

aus dem Lexikon – verdanken wir dem russischen Linguisten Ro<strong>man</strong> Jakobson,<br />

der später nach Amerika auswanderte. Er hat seine These experimentell überprüft,<br />

indem er an Kindern und an Kranken verschiedene Formen der Sprachstörung<br />

untersuchte. Dabei fand er heraus, daß die Störungen tatsächlich zwei verschiedene<br />

Erscheinungsformen aufwiesen, die eindeutig jeweils einer der beiden Achsen zuzuordnen<br />

waren. Bei der einen Gruppe war die Kombinationsfähigkeit gestört. Das<br />

zeigte sich darin, daß die Syntax zusammenbrach. Die Über- und Unterordnung der<br />

Satzteile löste sich auf, und die Verbindungswörter ohne eigene Bedeutung, also mit<br />

rein grammatikalischer Funktion wie »wenn, vor, während, er, der, dieser« etc., verschwanden.<br />

Das Ergebnis war ein agrammatischer Telegrammstil: Was übrig blieb, war<br />

das Lexikon.<br />

Umgekehrt verhielt es sich bei den Patienten, deren Fähigkeit zur Auswahl beschädigt<br />

war. Die Grammatik und die grammatikalischen Funktionswörter blieben<br />

erhalten, aber die Sprecher konnten nicht mehr frei wählen. Sie ersetzten dann die<br />

Worte, die ihnen nicht einfielen, durch Ausdrücke wie »Ding« oder »Sache«. Es stellte<br />

sich heraus, daß sie keine eigenen Kontexte bilden konnten, die sich von der aktuellen<br />

Situation unterschieden. Statt dessen mußten die Kontexte vorgegeben werden.<br />

Sie konnten nur sagen: »es regnet«, wenn es wirklich regnete; sie konnten auch Sätze<br />

anderer vervollständigen und Fragen beantworten, Gespräche fortführen, aber nicht<br />

beginnen. Ihr Sprachverhalten war völlig reaktiv. Auffällig war vor allem ihre Unfähigkeit,<br />

Wörter durch Synonyme zu definieren, nach der Manier: »ein Opernball ist<br />

ein Tanzfest« oder »ein Tiger ist eine gestreifte Raubkatze«. Sie konnten nur ergänzen,<br />

<strong>was</strong> schon begonnen war (also auf der Achse der Kombination weitermachen), aber<br />

sie konnten kein Element durch ein anderes ersetzen (also Tiger durch Raubkatze)<br />

oder zwei Ausdrücke für dieselbe Sache benützen (Auto/Wagen). Und weil sie keinen<br />

eigenen Kontext bilden konnten, konnten sie weder lügen (sagen, es regnet,<br />

wenn es nicht stimmte), noch imaginäre und fiktionale Welten konstruieren. Und als<br />

Konsequenz von alledem konnten sie auch nicht mit der Sprache über die Sprache<br />

sprechen.<br />

Diese Unterschiede entlang den beiden Achsen der Sprache wurden durch Assoziationstests<br />

mit Gesunden bestätigt. Die eine Gruppe der Testpersonen assoziierte bei<br />

dem Wort »Haus« metaphorisch über die Achse der Ähnlichkeit; sie schrieben Wörter<br />

hin wie Höhle, Bude, Appartement etc. Die andere dachte an die Elemente des Kontextes:<br />

Garten, Zaun, Straße, Obstbäume. Sie zeigten also dieselben Präferenzen, wie<br />

sie bei den Kranken zutagetraten.<br />

Wenn <strong>man</strong> das aufgreift und die Defekte der Kranken sozusagen in ihrer Nor-

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