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Bildung - Alles, was man wissen muss

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DIE EUROPÄISCHE LITERATUR 251<br />

In Die Gefangene schildert der Erzähler, wie er Albertine praktisch pausenlos überwacht.<br />

Die Verdurins provozieren einen skandalträchtigen Bruch zwischen Charlus<br />

und Morel, und Albertine flieht.<br />

In Die Entflohene stirbt Albertine, und der Erzähler beobachtet, wie seine Trauer<br />

von Vergeßlichkeit verzehrt wird. Gilberte heiratet den neuen Liebhaber von Morel,<br />

St. Loup.<br />

Die wiedergefundene Zeit führt uns in den Zeitbeschleuniger des Ersten Weltkriegs.<br />

Der Erzähler erlebt einen Empfang bei der neuen Prinzessin der Guer<strong>man</strong>tes, der<br />

früheren Madame Verdurin, und findet seine alten Bekannten bis zur Unkenntlichkeit<br />

verändert. Er besinnt sich auf drei herausgehobene Momente der Erinnerung und erkennt<br />

seine Berufung darin, seine Erlebnisse durch ein Kunstwerk unvergänglich zu<br />

machen.<br />

Für Proust ist das Erinnern eine Form überwältigender unwillkürlicher Erfahrung,<br />

die <strong>man</strong> weder beim Ereignis selbst erlebt, noch durch bewußt gesteuerte Erinnerungsarbeit<br />

herbeiführen kann. Aber in unbewachten Momenten wird <strong>man</strong><br />

durch eine beiläufige Assoziation von Erinnerungen überflutet, die zu einer Gleichzeitigkeit<br />

von Vergangenheit und Gegenwart führen und damit eine Realität jenseits<br />

der Zeit sichtbar werden lassen können. Die Episode, in der Proust diese Form der<br />

Erinnerung illustriert, ist die berühmteste des ganzen Ro<strong>man</strong>labyrinths, die auch derjenige<br />

kennt, der sonst nichts von Proust gelesen hat: »In der Sekunde nun, wo dieser<br />

mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte…, war<br />

mit einem mal die Erinnerung da… Der Geschmack war der jener Madeleine, die mir<br />

am Sonntagmorgen… meine Tante Leonie anbot… Sobald ich den Geschmack jener<br />

Madeleine wiedererkannt hatte…, trat das graue Haus mit seiner Straßenfront hinzu,<br />

und mit dem Haus die Stadt, der Platz, auf den <strong>man</strong> mich vor dem Mittagessen<br />

schickte, die Straßen…«<br />

Der Ro<strong>man</strong> ist die tiefgründigste Tauchexpedition in die Wasser der Erinnerung<br />

in der gesamten Weltliteratur. Bezeichnend ist, daß sie zu einer Zeit unternommen<br />

wurde, in der Freud die Psychoanalyse als Methode einer Hervorkitzelung verdrängter<br />

Erinnerungen entwickelte.<br />

Ulysses<br />

Vergleichbares gilt auch von einem Ro<strong>man</strong>, der mit einem ge<strong>wissen</strong> Recht an die<br />

Seite des Faust oder die Divina Commedia gestellt werden kann, weil er einen ganzen<br />

Kosmos vorführt und die Summe der literarischen Formen, die Geschichte einer Gesellschaft,<br />

das symbolische Wissen einer Kultur und ein Inventar der Gegenwart miteinander<br />

verbindet. Das ist der Ro<strong>man</strong> Ulysses von James Joyce, der 1922 erschien.<br />

Er beschreibt einen Tag, den 16. Juni 1904, im Leben dreier Menschen aus Du-

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