24.11.2013 Aufrufe

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

378 WISSEN<br />

<strong>man</strong> nirgends mehr in der Gesellschaft vor, sondern wird als Individuum ausgeschlossen.<br />

Eben deshalb braucht <strong>man</strong> eine Identität (–»•s.o. Psyche und Freud).<br />

Zwischen der traditionellen und der modernen Gesellschaft liegt der Sündenfall.<br />

Danach wurde der Mensch als ganzer aus der Gesellschaft vertrieben. Nun wird er<br />

fallweise wieder hereingelassen, sozusagen als Besucher in jeweils wechselnden Funktionen.<br />

Als Ganzer aber treibt er sich in der Wildnis draußen herum, d.h. in seiner<br />

Psyche, und überlegt sich, welche Kleider er aus der gesellschaftlichen Garderobe auswählen<br />

soll, um daraus sein Identitätskostüm zusammenzustellen. So wie jeder eine<br />

eigene Identität hat, hat auch jeder seine ganz persönliche Garderobe. Zwar gibt es da<br />

Trends, Stile und die Empfehlungen der Journale für Identitätsmode: Es gibt Designer,<br />

Identitätsmodels und Couturiers; jede Saison stellen die großen Modehäuser<br />

ihre neue Identitätskollektion vor, und natürlich üben diese Angebote einen ge<strong>wissen</strong><br />

Druck aus. Aber sie können nur deshalb existieren, weil die meisten mit ihrer Wahlfreiheit<br />

überfordert sind. Denn an sich ist jeder frei, seine Identitätsausstattung so zu<br />

gestalten, wie er es für richtig hält. Nach der Vertreibung aus dem Paradies der Gesellschaft<br />

darf der Mensch sogar unmoralisch sein und sündigen, ohne die Gesellschaft<br />

gleich zu gefährden. Identität und Gesellschaft haben sich getrennt. Die Identitäten<br />

sind freigegeben worden, so daß heute jeder ein Original sein kann, ohne daß es<br />

irgendwelche Konsequenzen hätte; umgekehrt kann die Gesellschaft nicht vom Menschen<br />

aus verstanden werden. Sie ist ein eigenständiges Gebilde, das nach eigenen gesellschaftlichen<br />

und nicht nach personalen Gesetzen funktioniert. Diese Schwierigkeit<br />

bildet das größte Hindernis beim Verständnis der modernen Gesellschaft. Das intuitive<br />

Alltagsverständnis führt hier in die Irre. Das legt nämlich nahe, die Gesellschaft<br />

sei ein Haufen Menschen. Nichts ist abwegiger: Das wäre so, als würde <strong>man</strong> sagen, ein<br />

Haufen Steine und Balken sei ein Haus, oder ein Faß voll Wasser und et<strong>was</strong> Fett und<br />

organische Masse seien eine Kuh. Aber die Gesellschaft unterscheidet sich von einzelnen<br />

Menschen wie ein Haus von einem Backstein. Aus demselben Grund kann <strong>man</strong><br />

auch nicht vom Einzelmenschen auf die Struktur der Gesellschaft schließen. Das wäre<br />

so, als ob <strong>man</strong> glaubte, ein Text sei so gebaut wie ein Wort. Die Gesellschaft unterliegt<br />

anderen Gesetzen als ein einzelner Mensch.<br />

Das hat unangenehme Konsequenzen. Zum Beispiel reicht es nicht mehr, einfach<br />

gesellschaftlich das Beste zu wollen und es dann auf direktem Wege zu verwirklichen.<br />

Im Privaten hat <strong>man</strong> da noch Chancen, weil dieses Terrain vergleichsweise übersichtlich<br />

ist. Aber gesellschaftliche Gesamtpläne haben bis jetzt immer die besten Absichten<br />

mit den katastrophalsten Ergebnissen verbunden, und das lag immer daran, daß<br />

<strong>man</strong> ein naives Bild der Gesellschaft hatte. Meistens stellte <strong>man</strong> sich dabei die Moderne<br />

wie eine traditionelle Gesellschaft vor, und das war jedesmal tödlich.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!