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Bildung - Alles, was man wissen muss

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430 KÖNNEN<br />

Aber trotzdem wirkt diese Aufmachung von Zylinder, Jackett, Shorts und Turnschuhen<br />

irgendwie unpassend. Der Grund ist natürlich klar: sie passen stilistisch nicht<br />

zusammen. Wie in der Dichtung sind die hintereinander geschalteten Elemente der<br />

Kleiderordnung auch durch das männliche Prinzip der Ähnlichkeit miteinander verklammert.<br />

Und so wie es dichterische Formen gibt, gibt es Sets von Kleidungsstücken,<br />

die zusammengehören: Zylinder, weißes Hemd, schwarzer Schlips, schwarzer<br />

Anzug und schwarze Halbschuhe zur Beerdigung; Basketballmütze, T-Shirt, Shorts<br />

und Turnschuhe für die Gymnastik; Hose, Pulli, Jackett, Straßenschuhe für den Besuch<br />

in der Stammkneipe etc.<br />

Und wenn <strong>man</strong> in den verschiedenen symbolischen Ordnungen, die die Menschen<br />

geschaffen haben, parallele Grammatiken findet und sie so miteinander vergleicht,<br />

wie wir das jetzt gerade mit der Kleiderordnung und der Sprache getan haben,<br />

bezeichnet <strong>man</strong> die damit verbundene Optik als strukturalistisch.<br />

Der Erfinder des Strukturalismus ist der Franzose Claude Levi-Strauss. Er war<br />

Ethnologe und hat auf der Flucht vor den Nazis in New York Ro<strong>man</strong> Jakobson kennengelernt.<br />

Dieser erklärte ihm die Kooperation der beiden Dimensionen der Sprache<br />

und wie daraus sprachliche Stämme, Sippen, Clans, Wortfamilien und Ehen entstehen.<br />

Levi-Strauss rief »heureka!« und übertrug Jakobsons Prinzip auf die Untersuchung<br />

der Mythologie und der Verwandtschaftsssysteme von Stammesgesellschaften –<br />

und siehe da – <strong>was</strong> lange rätselhaft schien – Heiratsregeln, Inzesttabus und die Tatsache,<br />

daß zwischen Kamtschatka und Spanien, zwischen Alaska und Feuerland sich alle<br />

Völker die gleichen Geschichten erzählen – wurde nun erklärbar. Sie handeln alle<br />

von der Kleiderordnung der Kultur, und davon, <strong>was</strong> es bedeutet, sie zu verletzen; oder<br />

sie nicht zu kennen, weil <strong>man</strong> zu ungebildet ist. Dann tritt <strong>man</strong> auf, als ob <strong>man</strong> die<br />

Hose auf dem Kopf trüge, die Weste ums Bein gewickelt hätte und die Blöße ganz<br />

unbedeckt wäre. Aus diesem Grunde ist die Mythologie voll von Monstern, Riesen,<br />

Zwergen, Barbaren, Menschenfressern, Minotaurussen, Amazonen und grotesken Gestalten<br />

aller Art. In der Grammatik des Mythos sind sie die Ungebildeten. Ihr Zeichen<br />

ist, daß sie irgendeinen Defekt in den Bereichen haben, die die Menschen zu Menschen<br />

machen. Sie können nicht sprechen oder sagen nur »barbarbarbar« oder sie<br />

können nicht gut auf zwei Beinen stehen, weil sie einen Pferdefuß haben. Einige von<br />

ihnen müssen deshalb in der Unterwelt wohnen, ausgeschlossen vom Reich der Sprache<br />

und der Kultur.

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