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Bildung - Alles, was man wissen muss

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340 WISSEN<br />

Mit diesem Entwurf verklammert Hegel Geschichte und Philosophie in der<br />

Form des Ro<strong>man</strong>s. Denn auch der Ro<strong>man</strong> macht eine kopernikanische Wende ä la<br />

Kant durch: So wie das transzendentale Ich nicht mehr Teil der empirischen Welt ist<br />

sondern ihr Ursprung ( Kant), zieht sich auch der Erzähler aus der Ro<strong>man</strong>welt zurück,<br />

um das Geschehen aus der Perspektive des Helden erzählen zu können. Dieser<br />

erweitert über eine Serie von Krisen seinen Horizont zunehmend, bis er am Ende<br />

seine eigene Geschichte durchschaut und den Wissensstand des Erzählers erreicht hat.<br />

In derselben Weise stellt Hegel seine Erzählperspektive auf den Horizont einer jeden<br />

Epoche ein, faßt die Differenz zwischen dem beschränkten »Zeitgeist« und dem, <strong>was</strong><br />

ihm entgeht, als dialektischen Widerspruch und fuhrt den Weltgeist über eine Serie<br />

von dialektischen Krisen zur Einsicht in seine eigene Geschichte, bis dieser schließlich<br />

mit dem all<strong>wissen</strong>den Hegel gleichzieht.<br />

Damit machte Hegel die Menschen zu Ro<strong>man</strong>figuren. Sie hatten nun eine Rolle<br />

in der Weltgeschichte und konnten sich als Geburtshelfer des Geistes bewähren. Wehe<br />

aber dem, der sich dem Gang der Geschichte entgegenstellte: Der wurde gnadenlos<br />

zermalmt.<br />

Mit Hegel zieht also ein neues Szenario ins Denken Europas ein und wird gleich<br />

zum alles beherrschenden Realitätsmodell: die Geschichte. Von diesem Zeitpunkt an<br />

wurde um die Interpretation der Geschichte gekämpft. Wer die Deutungshoheit erobert<br />

hatte, hatte gewonnen. Denn damit hatte er das Recht erworben, die Macht zu<br />

übernehmen, um die Geschichte in seinem Sinne voranzutreiben. Die Deutungen<br />

mit Exklusivanspruch wurden Ideologien genannt (der Begriff bezeichnete ursprünglich<br />

falsches Bewußtsein, das auf unbewußte Interessen zurückgeführt werden<br />

konnte; –›Marx). Mit Hegel beginnt das Zeitalter der Ideologien, die historisch begründet<br />

werden.<br />

Hegels Philosophie breitete sich besonders in Deutschland und Rußland aus, wo<br />

die Intellektuellen kaum praktische Erfahrungen mit der Politik hatten sammeln<br />

können. Da sie die Wirklichkeit mit einem Ro<strong>man</strong> verwechselten, wurden sie zu<br />

Don Quijotes. Das ist der Grund, warum – verglichen mit westlichen Ländern – in<br />

Deutschland im 19. Jahrhundert kaum große Ro<strong>man</strong>e hervorgebracht wurden. Man<br />

hatte ja den Ro<strong>man</strong> der Geschichte. Der größte Ro<strong>man</strong>cier war Hegel, und sein eifrigster<br />

Leser war Karl Marx.<br />

Karl Marx (1818-1883)<br />

Hegel hat eine Menge Söhne, die ihn teils beerben und teils beerdigen. Karl Marx tut<br />

beides. Er übernimmt das ganze Modell mitsamt der Dialektik als Motor der Geschichte,<br />

stellt es aber, wie er sagt, »vom Kopf auf die Füße«: Für ihn ist die Realität<br />

nicht geistig, sondern materiell. Entscheidend für eine Kultur ist die Form, in der eine

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