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Bildung - Alles, was man wissen muss

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242 WISSEN<br />

menge zwischen beiden größer wäre. Der Faust ist die Dichtung, in der andere Nationen<br />

die deutsche Literatur am ehesten kennenlernen, und Faust und Mephisto sind<br />

die beiden Deutschen, denen sie wahrscheinlich am aufmerksamsten zugehört haben<br />

Natürlich blieb es nicht aus, daß der Faust zum nationalen Arbeitsdiensteinsatz für<br />

Volk und Vaterland gepreßt wurde und daß die faustische Maßlosigkeit dazu herhalten<br />

mußte, das deutsche Sendungsbewußtsein zu legitimieren. Das hat Thomas Mann<br />

mit seinem Dr. Faustus von 1947 dann wieder geradegerückt, indem er den Faust<br />

nach der Nazizeit auf den neuesten Stand gebracht hat: Es spielen dann die Musik, der<br />

Rausch, der Irrsinn und Nietzsche eine zentrale Rolle, und am Schluß wird Faustus<br />

wirklich vom Teufel geholt, dem er seine Seele verkauft hatte.<br />

Zwischenbetrachtung: Der Ro<strong>man</strong><br />

Die Dichter der deutschen Klassik haben sich auf die Lyrik und das Drama konzentriert.<br />

Der realistische Ro<strong>man</strong> spielt bei ihnen noch keine große Rolle. In England<br />

dagegen hatte er sich in den 100 Jahren seit Robinson Crusoe voll entwickelt. Nachdem<br />

Richardson das Muster der Liebesgeschichte erfunden und den Ro<strong>man</strong> psychologisiert<br />

hatte, hat Laurence Sterne (1713-1768) mit seinem humoristischen Tristram<br />

Shandy (1759 ff.) schon einen Ro<strong>man</strong> über das Ro<strong>man</strong>schreiben geschrieben. Horace<br />

Walpole hatte 1764 mit seinem Schloß von Otranto den Schauerro<strong>man</strong> (auf engl.<br />

»Gothic novel«) erfunden, und Sir Walter Scott, der Dichter des ro<strong>man</strong>tischen Schottland,<br />

den historischen Ro<strong>man</strong> geschaffen (Ivanhoe, 1819). Schließlich hat Jane Austen<br />

(1775–1817) in den Ro<strong>man</strong>en Emma und Stolz und Vorurteil die mobile Erzählperspektive<br />

entwickelt. Damit hat sie dem Ro<strong>man</strong> das Gestaltungsprinzip verschafft, in<br />

dem das Geheimnis seines Erfolges liegt: die Geschichte so zu erzählen, daß wir sie<br />

mal aus der Perspektive einer wichtigen Figur erleben und dann wieder direkt, wobei<br />

wir die Figur von außen sehen. Auf diese Weise kann der Ro<strong>man</strong> psychologische<br />

Innenschau und breites gesellschaftliches Panorama verklammern. Er zeigt uns, wie<br />

sich Individuum und Gesellschaft begegnen und sich dabei gegeneinander relativieren.<br />

Deshalb ist die dominante Literaturform des 19. und 20. Jahrhunderts der moderne<br />

Ro<strong>man</strong>. Er ist die literarische Form der bürgerlichen Gesellschaft.<br />

1830 bricht in Paris wieder mal eine Revolution aus: Der reaktionäre Karl X.<br />

dankt ab, und an seiner Stelle besteigt Louis Philippe den Thron. Man nennt ihn den<br />

Bürgerkönig, und es beginnt die hohe Zeit des Bürgertums. Ein Jahr zuvor, also 1829,<br />

hatte Honore de Balzac (1799–1850) seine Ro<strong>man</strong>produktion aufgenommen, die<br />

sich schließlich auf mehr als 90 Ro<strong>man</strong>e und Erzählungen belaufen sollte. Mit denen,<br />

die er unter dem Titel La Comédie humaine (»die menschliche Komödie« im Gegensatz<br />

zur »göttlichen Komödie«) zusammenfaßte, versuchte er eine vollständige soziologische<br />

Inventarisierung der französischen Gesellschaft seiner Zeit zu bieten.

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