24.11.2013 Aufrufe

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DIE EUROPÄISCHE LITERATUR 235<br />

Gotthold Ephraim Lessing<br />

Das deutsche Drama beginnt mit der Adoption Shakespeares und seines Blankverses<br />

(fünfhebiger Jambus = xx: die Axt / im Haus / erspart / den Zim / mer<strong>man</strong>n) durch<br />

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781). Mit seiner Minna von Barnhelm (1767)<br />

schreibt er gleich eine der reizendsten deutschen Komödien, in der ein ehrpusseliger<br />

preußischer Offizier durch die Genialität seiner Geliebten von seiner Don Quijoterie<br />

kuriert wird: Weil er sie nur nimmt, wenn sie unglücklich ist, muß sie die Unglückliche<br />

mimen. Und Lessings Nathan der Weise erinnert daran, welchen Zivilisationsstandard<br />

die Aufklärung in diesem Lande schon einmal erreicht hatte: Das Stück spielt<br />

während der Kreuzzüge in Jerusalem; der Titelheld ist ein jüdischer Kauf<strong>man</strong>n, der<br />

alle Religionen für verschiedene Ausdrucksformen derselben Wahrheit hält. Als ein<br />

Tempelritter sich in seine Adoptivtochter Recha verliebt und diese Beziehung<br />

wiederum den Sultan Saladin, einen Moslem, ins Spiel bringt, werden alle drei monotheistischen<br />

Religionen miteinander konfrontiert. Am Ende stellt sich heraus, daß<br />

Recha und der Tempelherr Geschwister sind und beide die Kinder von Saladins Bruder.<br />

Ihr gemeinsamer geistlicher Vater aber ist Nathan der Weise, so daß sich schließlich<br />

alle Beteiligten als Mitglieder einer Menschheitsfamilie umarmen können.<br />

Zentral für Lessings Botschaft ist die Episode in der Mitte des Stücks, in der der<br />

Sultan die vielgepriesene Weisheit Nathans testet und ihm die Frage nach der wahren<br />

Religion stellt. Nathan antwortet mit der Ringparabel aus der dritten Geschichte des<br />

Decamerone von Boccaccio: Seid Menschengedenken vererbt in einer Familie in jeder<br />

Generation der Vater vor seinem Tode seinem Lieblingssohn einen wertvollen Ring,<br />

der ihn auf dem Pfade der Tugend und des Glücks hält. Schließlich kommt er auf einen<br />

Vater, der sich zwischen seinen drei Söhnen nicht entscheiden kann, weil er alle<br />

gleich liebt. So läßt er zwei weitere gleich aussehende Ringe anfertigen und gibt jedem<br />

der drei einen davon. Nach seinem Tode kommt es zum Streit, weil jeder den<br />

echten Ring zu besitzen beansprucht. Der Richter aber verfügt, daß laut Testament<br />

des Vaters derjenige den echten Ring haben müsse, dessen Lebenswandel die Kraft des<br />

Ringes durch seine Vorbildlichkeit beweise. Damit habe jeder eine Chance, die Echtheit<br />

seines Ringes nachzuweisen.<br />

Diese salomonische Antwort begeistert den Sultan und zeigt, <strong>was</strong> Nathan und<br />

Lessing unter der Verwandlung von Glaubensweisheiten in Vernunftwahrheiten verstanden.<br />

Das Drama ist ein Gegenentwurf zu Christopher Marlowes Jude von Malta,<br />

einem Stück, in dem sich Juden, Christen und Muslime in der Kunst übertreffen, sich<br />

gegenseitig hereinzulegen. Und es ist ein Gegenentwurf zu Shakespeares Kauf<strong>man</strong>n<br />

von Venedig mit seinem finsteren jüdischen Wucherer Shylock.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!