24.11.2013 Aufrufe

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

432 KÖNNEN<br />

det und darüber kontrolliert werden. So et<strong>was</strong> muß <strong>man</strong> trainieren. Das verlangt<br />

die Fähigkeit, die Simultanstimulation durch Bilder in ein Nacheinander zu verwandeln.<br />

Dabei muß <strong>man</strong> das Tempo herausnehmen und warten können, bis in einem<br />

komplexen Satz endlich das Prädikat daherkommt (»Dein Onkel, der, wie du<br />

weißt, ein scharfes Auge hat, hat gestern um 5 Uhr, als er gerade am Marienplatz<br />

vorbeifuhr, in der Straßenbahn…« »Ja, <strong>was</strong> denn nun?« wirst du rufen. »Wart’s ab«,<br />

sagt die Schrift und fährt fort: »… in der Straßenbahn, die vollbesetzt war, <strong>was</strong> um<br />

diese Zeit nichts Ungewöhnliches ist, obwohl das nur für die Werktage gilt…« Inzwischen<br />

stehst du kurz vor einem Nervenzusammenbruch und schreist: »Was hat<br />

er, wird <strong>man</strong>’s hören, <strong>was</strong> hat der Onkel, <strong>was</strong> hat er in der Straßenbahn, ich flehe<br />

dich an, sag es mir endlich, <strong>was</strong> hat er getan?« »… 10 Pfennig gefunden.«) Bis diese<br />

Information endlich erscheint, muß <strong>man</strong> den Sinnbogen für Anschlüsse präsenthalten,<br />

und erst, wenn das letzte Wort um die Ecke biegt, erschließt sich im Rückblick<br />

auf die bisherige Wortprozession der Sinn. Welche Spannungen da ausgehalten<br />

werden, zeigen viele Witze, bei denen die Pointe erst ganz zum Schluß den bisher<br />

aufgebauten Sinn umdreht.<br />

Karfunkel und Frau besuchen eine Ausstellung für moderne Kunst. Vor einem Gemälde<br />

von Picasso bleiben sie stehen.<br />

»Es ist ein Portrait«, behauptet Karfunkel.<br />

»Unsinn«, sagt seine Frau, »es ist eine Landschaft.«<br />

»Nein, sieh doch, es ist ein Portrait.«<br />

»Eine Landschaft ist es!«<br />

Sie streiten sich eine Weile, können sich nicht einigen und kaufen schließlich einen<br />

Katalog.<br />

Da steht: »Mandelbaum an der Riviera.«<br />

»Siehst Du«, sagt Karfunkel triumphierend, »doch ein Portrait.«<br />

Besonders der Ungeübte empfindet diese Spannung als unangenehm. Man hat das<br />

Gefühl, daß die Stimulation (Erregung) des Hirns gebremst wird. Das ist seit der Ausbreitung<br />

des Fernsehens eine allgemeine Erfahrung geworden, über die Lehrer immer<br />

wieder klagen: die Frustrationstoleranz (Fähigkeit, Frustration zu ertragen) der Kinder<br />

nimmt ab, sie halten die für die Sinnbildungsprozesse nötige Retardation (Tempodrosselung)<br />

nicht mehr aus. Sie wünschen sich deshalb den Unterricht nicht als Lernprozeß,<br />

sondern als Unterhaltung.<br />

Die Kultusminister sind daraufhin in einen Zustand kollektiver Umnachtung gefallen<br />

und haben die Rolle der schriftlichen Arbeiten für die Ermittlung der Zensuren<br />

zugunsten mündlicher Mitarbeit laufend reduziert. Zu einem Zeitpunkt, an dem<br />

die mündliche Kommunikation sowieso auf dem Vormarsch ist, geben sie den Standard<br />

der schriftlichen praktisch auf. Damit haben sie die Rolle der Schule gegenüber

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!