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Bildung - Alles, was man wissen muss

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DIE GESCHICHTE DER KUNST 293<br />

Besser hätte <strong>man</strong> ihn auch nicht sehen können, wenn er leibhaftig vor einem geses-<br />

sen hätte. Ja, der Stoff glänzte so herausfordernd, daß <strong>man</strong> versucht war, ihn anzufas-<br />

sen.<br />

Praxi hatte ein Mikrophon genommen, um meine Begleiterin unter ihrem Helm<br />

ansprechen zu können. »Was Sie sehen, ist das Bild Clemens VII. von Sebastiano del<br />

Piombo, das er 1562, natürlich im Auftrag, gemalt hat. Es hängt im Museum in Neapel.<br />

Vergleichen Sie die beiden Bilder. Sehen Sie einen Unterschied? Nein? Das eine<br />

ist das Original, das heißt, natürlich ist das nicht das Original, das hängt ja in Neapel,<br />

sondern die Computerkopie dieses Originals.« Er drückte auf das Symbol Z auf dem<br />

Bildschirm, und unter dem linken Bild erschien die Zeile »Hallo da draußen. Ich bin<br />

das Bild, das von dir gesehen wird.« Und unter dem rechten erschien die Zeile »Hallo<br />

hier drinnen. Ich bin die Kopie des Bildes in deinem Kopf.« »Sehen Sie«, fuhr Praxi<br />

fort, »die beiden Bilder sind identisch. Und deshalb können Sie auch normalerweise<br />

nicht sehen, daß es zwei sind. Sie haben den Eindruck der Unmittelbarkeit.<br />

Aber diese Unmittelbarkeit steht im Gegensatz zu den Jahrhunderten an Wissen, die<br />

Sie von diesem Bild trennen. Was <strong>wissen</strong> Sie wohl über diesen Papst? Was war los um<br />

1526? Hat Clemens dem Maler Anweisungen gegeben, wie er gerne gemalt werden<br />

würde? War Sebastiano zum gefragtesten Porträtisten Roms geworden, weil er seine<br />

Auftraggeber verschönte und sie edler erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit aussahen?<br />

Dann muß Clemens ein äußerst unsympathisch aussehender Mensch gewesen<br />

sein. Was hatten die Porträts für eine Funktion? Verherrlichung? Erinnerung für die<br />

Nachwelt? Wer ließ sich porträtieren, nur Herrscher und Aristokraten oder auch Bürgerliche?<br />

Kommt darin das Bewußtsein der eigenen Originalität zum Ausdruck? Und<br />

weiter: Verbirgt die sinnliche Unmittelbarkeit dessen, <strong>was</strong> du siehst, eine symbolisch<br />

verschlüsselte Botschaft? Gibt es eine Bildersprache, die <strong>man</strong> nicht mehr versteht?<br />

Kann <strong>man</strong> aus der Komposition Schlüsse ziehen? Ist die Teilung der Figur in roten<br />

Oberkörper und weißen Unterkörper nur dem Gewand des Papstes geschuldet, das<br />

so aussah, oder versteckt der Maler darin einen geheimen Hinweis auf die Glaubensspaltung,<br />

mit der Clemens konfrontiert war? Sieht er deshalb so finster aus? Symbolisieren<br />

die Stufen der Treppe hinter dem Papst die Himmelsleiter, an deren oberen<br />

Ende, das wir nicht sehen, nur noch Gott und seine Heerscharen stehen können?<br />

Könnte der zusammengefaltete Zettel in seiner Hand eine Botschaft sein, die er als<br />

Mittler zwischen Gott und den Menschen gerade von oben erhalten hat und im Begriff<br />

ist, nach unten weiterzugeben? Steckt also in dem Bild ein verstecktes Zitat, ein<br />

Hinweis auf Moses, der vom Berg Sinai herab dem Volk Israel die Gesetzestafeln<br />

bringt? Und wenn, wäre es nicht eine geheime Ironie, daß der rauhe Berg Sinai sich<br />

bei den Päpsten in eine Reihe bequemer Treppenstufen verwandelt hat?<br />

Mit einem Wort: die Unmittelbarkeit des sinnlichen Eindrucks enthält zugleich

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